Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Einkommen, suchte er sein Glück nur in seinem 
Wirken für die Ideale, die ihn begeisterten. Als 
sein bedeutendstes Werk gilt seine „Philosophie 
des Rechts nach geschichtlicher Ansicht“ (2 Bde, 
1880/37, 71878). Seit der zweiten Auflage (1847) 
führt Bd 1 den Titel „Geschichte der Rechts- 
philosophie“, Bd II die Aufschrift „Rechts= und 
Staatslehre auf der Grundlage christlicher Welt- 
anschauung“ (im Auszug neu hrsg. unter dem 
Titel „Staatslehre“ 1910). 
Weder die künstlerische Weltanschauung Schel- 
lings mit ihrem Glauben an die Vernunft der 
Wirklichkeit noch das System Hegels konnten 
Stahl befriedigen. Er übersieht den im System 
Hegels angelegten Radikalismus und Relativis= 
mus nicht. Die zerstörende Macht der dialektischen 
Methode will Stahl nicht über sich ergehen lassen. 
Er setzt sein System auf das Fundament des 
Gottesglaubens und deschristlichen Offenbarungs- 
glaubens. Gott als Persönlichkeit ist der Kern 
seiner Lehre. Besonders im ersten Teil seiner Phi- 
losophie des Rechts wendet er sich gegen den Sub- 
jektivismus und die Souveränität des Indivi- 
duums mit ihrer Auflösung der festen Satzungen 
und schließlichen Zerstörung von Staat und Recht. 
Seine Stellung zu dem herrschenden Rationa- 
lismus und autoritätslosen Liberalismus 
charakterisiert Stahl in der Vorrede der ersten 
Auflage (Bd II xXV): „Die Wahrheit des christ- 
lichen Glaubens, die Heiligkeit der Kirche, den 
Gehorsam unter die Obrigkeit zu bekennen gegen 
die herrschende öffentliche Meinung, konnte mich 
kein Zweifel anwandeln.“ Als entschiedener Pro- 
testant bekämpft Stahl vielfach die katholische 
Kirche. Gleichwohl führte die strenge Logik des 
Kirchenbegriffs den scharf denkenden Juristen 
weitab von dem gemeingültigen Begriff der pro- 
testantischen Theologie. Seine Gegner haben 
vielleicht nicht unrecht, wenn sie ihn einen „ver- 
kappten Jesuiten“ genannt, der die moderne Welt 
vor die Tore Roms führen wollte. Er selbst findet 
es (Bd II xV) notwendig, sich in diesem Punkt 
zu rechtfertigen. „Es wird mir nicht als eine 
Lauigkeit gegen das Bekenntnis meiner Kirche aus- 
gelegt werden, wenn ich mich zum Teil von der in 
ihr üblichen Lehrart entfernte und ihr die altkatho- 
lischen Begriffe von der Autorität des kirchlichen 
Verständnisses der Schrift, von der Ülberlieferung, 
von der ununterbrochenen, seit den Aposteln fort- 
geleiteten geistlichen Weihe, vor allem von der 
sichtbaren, als organische Anstalt wirksamen Kirche 
wieder zu gewinnen strebt usw., Begriffe, ohne 
welche die christliche Kirche schlechterdings nicht 
bestehen kann.“ Diesen Gedanken suchte Stahl in 
seiner Schrift zum Ausdruck zu bringen, welche 
nachst der Rechtsphilosophie als die hervorragendste 
gilt, nämlich: „Die Kirchenverfassung nach Lehre 
und Recht der Protestonten“ (1840. 71862). Die 
innern Widersprüche der protestantischen Kirchen- 
verfassung suchte er durch eine lebendige Organi- 
sation zu heben. Er bezeichnet den Lehrstand als 
Stahl. 
  
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den Repräsentanten der Autorität und des Kirchen- 
glaubens. Als bedeutend gilt ferner die Schrift: 
„Die lutherische Kirche und die Union“ (1859, 
21860). Stahl bekämpft in ihr die Unionsbestre- 
bungen auf dem Boden einer halb rationalistischen 
Verwässerung der christlichen Glaubenswahrheiten. 
Weitere Schriften von Stahl sind: „Die Revolu- 
tion und die konstitutionelle Monarchie“ (1848, 
21849); „Über Kirchenzucht“ (1845, 1858); 
„Der Protestantismus als politisches Prinzip“ 
(1858,21854); „Über christl. Toleranz“ (1855); 
„Rektoratsrede über Friedrich Wilhelm III.“ 
(1853); „Über Friedrich Wilhelm IV.“ (1861). 
Besondere Beachtung hat die Staatslehre 
Stahls gefunden. Juristisch faßt er den Staat 
als Anstalt und Gemeinwesen. In der Lehre von 
der Rechtfertigung des Staats vermischt er das 
Problem der Rechtfertigung mit dem seiner histo- 
rischen Entstehung (Jellinek, Allgemeine Staats- 
lehre 178). Nach seiner religiös-theoretischen Be- 
gründung ist der Staat ein sittlich-intellektuelles 
Reich, in welchem die menschliche Gemeinschaft 
auf Gottes Gebot und Auftrag die Weltordnung 
Gottes erhalten soll. Was den Staat zum Staat 
macht, ist die Obrigkeit. Sie ist eine von Gott 
verordnete und Gottes Gebot ausführende Macht. 
Ihr Dasein ist keine schöpferische Tat Gottes, 
sondern eine Fügung Gottes. Sie ist von Gottes 
Gnaden. In diesem Sinn sind auch die 
bestimmten Verfassungen von Gottes Gnaden; 
sie tragen Gottes Sanktion. Aber nur solche 
sind in Gottes Ordnung begründet, welche sich 
auf geschichtlicher Grundlage erheben. Weder von 
sich selbst noch durch Vertrag können Menschen 
eine obrigkeitliche Gewalt begründen. Im Staat 
als einem sittlichen Reich muß eine ihrer selbst be- 
wußte und ihrer selbst mächtige Gewalt aufgerichtet 
sein; sie ist notwendig eine persönliche. Im erb- 
lichen Königtum wird der Staat persönlich. Das 
Recht des Königs betrachtet Stahl nicht als Privat- 
recht, sondern als öffentliches Recht. Auch steht der 
geborene König höher als der erkorene, weil Gott 
den Erben macht und nicht der Mensch (Bluntschli). 
Der Fürst ist ohne menschliches Zutun durch gött- 
liche Fügung im Besitz der Gewalt. Er ist von 
Gottes Gnaden. Für den König ist das Gesetz 
nicht nur eine Gewissensschranke, sondern auch eine 
staatsrechtliche Grenze. Dem christlichen Prinzip 
mit dem göttlichen Recht der Autorität und der 
Legitimität steht gegenüber das revolutionäre Prin- 
zip, die Volkssouveränität, die Anschauung, 
daß die Staatsgewalt nicht von Gott, sondern 
durch den Menschen und für ihn aufgerichtet ist. 
Aus der religiösen Rechtfertigung des Staats 
solgert Stahl die Lehre vom religiösen Beruf 
des Staats. Der Zweck des Staats ist „nicht 
bloß eine Erfüllung sittlicher Ordnungen, sondern 
auch ein Dienst und Gehorsam gegen die Person 
Gottes und die Aufrichtung eines Reichs zur Ehre 
Gottes“ (Stahl. Philosophie des Rechts I1 179). 
Der Staat ist der Erhalter der zehn Gebote, der
	        
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