Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

171 
Die Bedeutung der ständischen Gliederung 
zeigt sich vor allem in den durch die Ebenbürtig- 
keit bedingten rechtlichen Verhältnissen, sofern für 
gewisse gerichtliche Handlungen, wie Herausforde- 
rung zum Zweikampf, Zeugnis, Urteilfindung, 
Funktion als Vorsprecher, für die Vormundschaft, 
das Erbrecht und die Eingehung einer vollwirk- 
samen Ehe Ebenbürtigkeit verlangt wurde (oagl. 
hierüber d. Art. Ebenbürtigkeit). 
Jeder Stand brachte sein Sonderrecht hervor. 
Die Geburtsstände schlossen sich gegeneinander 
durch die Ausbildung des Prinzips der Eben- 
bürtigkeit ab. In der Entscheidung der Frage, 
welche Stände einander ebenbürtig sind, spiegelt 
sich die Geschichte der Ständebildung wider. 
Durch die Rezeption des römischen Rechts wur- 
den allmählich alle Stände außer dem „hohen 
Adel“ in privatrechtlicher Beziehung grundsätzlich 
dem gemeinen Recht unterworfen und behielten 
nur in einzelnen Punkten ein Sonderrecht bei. 
In den Städten zeigt die ständische Glie- 
derung nicht die gleiche Tendenz der Sonderung 
wie in den besprochenen land= und lehnrechtlichen 
Verhältnissen. Hier bemerken wir vielmehr das 
Bestreben der Gleichmachung der ständischen Un- 
terschiede. So verschwanden bald die Geburts- 
stände, um einem freien, standesgleichen 
Bürgertum zu weichen. Die Bevölkerung 
der älteren Städte bestand aus Freien, Ministe- 
rialen des Stadtherrn und hörigen Handwerkern. 
Doch bald erlangten alle Elemente der Stadt die 
volle Freiheit. „Stadtluft macht frei“, hieß der 
Grundsatz, kraft dessen ein Unfreier, der sich Jahr 
und Tag unbehelligt in der Stadt aufgehalten 
hatte, frei wurde. Indes standen innerhalb der 
Bürgerschaft die Reicheren und Vornehmeren als 
„Alt-, Voll= oder Erbbürger“ den minder- 
berechtigten Handwerkern und Kleinkauf- 
leuten gegenüber, die zunächst von den städti- 
schen Amtern und vom Stadtrat ausgeschlossen 
waren. Zur Klasse der „Altbürger“ zählten auch 
die Ministerialen, die in der Stadt wohnten. 
Die in Innungen, Zünften oder Gilden organi- 
sierten Handwerker erlangten aber vom 14. Jahrh. 
an in den meisten Städten Deutschlands die 
volle Gleichberechtigung mit den Altbürgern, 
den „Patriziern“. Weiteres im Art. Bürger- 
stand. 
Die ständische Gliederung bestand im alten 
Stände. 
172 
Landesadel. Wenn auch die Reichsritter eine be- 
schränkte landesherrliche Gewalt auf ihren Be- 
sitzungen ausübten, so besaßen sie doch keine Reichs- 
standschaft; seit der Mitte des 18. Jahrh. führten sie 
alle den Freiherrntitel. Durch die Umgestaltung der 
Heeresverfassung und die bereits oben exwähnte 
Einführung des Briefadels hatte der niedere Adel 
seinen Charakter als Berufsstand verloren und 
war zu einem privilegierten Geburtsstand gewor- 
den (über seine Vorrechte vgl. d. Art. Adel). Trotz 
der Abschließung des Adels wurden doch Ehen 
zwischen Adligen und Nichtadligen freien Stands 
allgemein bis ins 18. Jahrh. hinein als eben- 
bürtig behandelt, im 18. Jahrh. aber vielfach nicht 
mehr, wie auch z. B. das preußische Allgemeine 
Landrecht bestimmte, daß ein Mann von Adel 
mit Frauen aus dem Bauern= oder geringeren 
Bürgerstand ohne gerichtliche Dispens keine Ehe 
zur rechten Hand eingehen durfte, eine Bestim- 
mung, die erst 1869 aufgehoben wurde. Die 
Reichsbauern sind mit den Reichsdörfern noch 
kurz vor dem Untergang des Reichs verschwunden. 
Reichsunmittelbar waren auch die Reichsbeamten. 
Die Reichsunmittelbaren waren sämtlich gegen 
Kaiser und Reich zur Treue verpflichtet. Die 
Reichsstände (Kurfürsten, Fürsten, Reichs- 
städte) hatten ferner die Pflicht, persönlich oder 
durch einen Vertreter an den Reichstagen teil- 
zunehmen, zum Reichsheer Truppen zu stellen 
und die Reichssteuern aufzubringen. 
IV. Die fländische Verfassung. Ständische 
Verfassung nennt man eine bestimmte Art der be- 
schränkt-monarchischen Verfassung. In ihr ist der 
Monarch in seiner Regierung eingeschränkt da- 
durch, daß die zu ständischen Körperschaften ver- 
einigten oder durch Beauftragte der dort ver- 
tretenen Bevorrechteten an der Regierung bzw. 
Gesetzgebung des Landes teilnehmen. Dieses Recht 
der Stände galt ihnen als gleichmäßig ursprüng- 
lich wie das des Monarchen. Es hat seine Wurzel 
in der dauernden Verbindung des Grafenamtes 
der nachkarolingischen Zeit mit dem größeren 
geistlichen und weltlichen Grundbesitz. Und jeder 
grundbesitzende Inhaber obrigkeitlicher Gewalt 
wird so im Staat zum selbständigen Rechtssubjekt. 
Diese Inhaber ortsobrigkeitlicher Gewalten ver- 
einigen sich zu Körperschaften, zu Ständen, die 
als geschlossene Korporationen dem Monarchen 
gegenüberstehen und ihr Recht und ihre Inter- 
  
  
deutschen Neich selbst bis zu dessen Untergang essen vertreten. So begegnen wir seit Ende des 
fort. Man unterschied auch in der Neuzeit im 13. Jahrh. überall den Ständen als geschlossenen 
Reiche Reichsfürsten, Grafen und Herren, Reichs= Körperschaften sowohl im Reich wie in den ein- 
ritter. Reichsstädter und Reichsbauern. Zu Beginn zelnen Territorien. 
der Neuzeit war der erste unter den Ständen der 1. Die Reichsstände. Der Reichstag im 
hohe Adel, der sich in alter Weise aus den Fürsten alten deutschen Reich ist aus der Notabelnversamm- 
und Herren zusammensetzte (vgl. hierüber und über lung, dem erweiterten königlichen Hof, hervor- 
das Verhällnis des hohen zum niedern Adel gegangen. Zur Beratung wichtiger Reichsange- 
d. Art. Adel, Ebenbürtigkeit, Fürst, Standes- legenheiten lud der König alle Fürsten des Reichs 
herren, deutsche). Innerhalb des niedern Adels zu einem „Reichstag“ ein. Bisweilen erging in 
vollzog sich durch die Ausbildung der Reichs= dringenden Fällen die Einladung auch an die 
ritterschaft die Scheidung in den Reichs- und Ritterschaft. Eine Pflicht, die Großen um ihren
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.