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Rat zu fragen oder ihn zu befolgen, bestand für
den König anfangs nicht. Allein seit dem 12. Jahrh.
wurde aus dem Beirat der Großen allmählich ein
Recht der Beschlußfassung, aus der Pflicht der
Hoffahrt ein Recht der Reichsstandschaft,
d. h. das Recht an den Verhandlungen des Reichs-
tags mit Sitz und Stimme teilzunehmen. Zur
Reichsstandschaft berechtigt waren ursprünglich nur
die Fürsten, seit dem 14. Jahrh. auch die „Edeln“,
d. h. die „Grafen und Herren“. Seit dieser Zeit
nahmen auch die Reichs= und Bischofsstädte an den
Reichstagen teil. Die Bezeichnung als „Stände“
scheint zuerst in den Niederlanden (staten) auf-
gekommen zu sein und sich von da aus seit Maxi-
milian I. auch im Reich für die Reichs= und Land-
stände eingebürgert zu haben. Auf dem Reichstag
hatte sich seit dem 16. Jahrh. die Gliederung
der Reichsstände in drei Kollegien vollzogen.
Das erste Kollegium bildeten die Kurfürsten (Zahl
und Verteilung der Kurwürden s. Art. Deutsches
Reich Bd I. Sp. 1209, und Art. Fürst Bd II,
Sp. 367 5), das zweite, den sog. „Fürstenrat",
die Fürsten, Grafen und Herren. Der Reichs-
fürstenrat stand unter dem wechselnden Direk-
torium Salzburgs und Osterreichs. Er zerfiel in
eine geistliche und eine weltliche Bank. Die
Fürsten hatten Virilstimmen. Die Prälaten,
Grafen und freien Herren waren in Kurien, an-
fangs in drei, später in sechs Kurien vereinigt,
von denen jede Kurie nur eine Stimme abgab.
Die Fürsten besaßen anfangs Personalstimmen,
seit dem Ende des 16. Jahrh. aber wurde das
Stimmrecht der Fürsten zu einem an einem Fürsten-
tum haftenden Realrecht. So kam es, daß oft ein
Fürst für alle ihm gehörenden Fürstentümer je eine
Stimme abgeben durfte. Das dritte Kollegium
des Reichstags war das der freien Städte, das
unter dem Direktorium derjenigen Stadt stand,
in der der Reichstag tagte. Es zerfiel in eine
rheinische Städtebank mit 14 und in eine schwä-
bische mit 37 Stimmen. Die Reichsstandschaft
der Städte wurde erst um 1500 anerkannt, und
erst im Westfälischen Frieden (1648) wurde ihnen
die völlige Gleichstellung mit den übrigen Reichs-
ständen gewährleistet.
Die Reichsritter, die in sog. Ritterkreisen organi-
siert waren, besaßen weder die Reichs= noch die
Kreisstandschaft, aber sie waren frei von Reichs-
und Kreissteuern.
Bis 1654 pflegten der Kaiser und die Fürsten
noch persönlich auf den Reichstagen zu erscheinen,
seit dieser Zeit war der Reichstag ein ständiger
Gesandtenkongreß zu Regensburg. Jedes Kolle-
gium beriet und beschloß für sich. Erst durch die
Einigung der drei Kollegien kam ein „Reichs-
gutachten“ zu stande, das durch kaiserliche Sank-
tion zum „Reichsschluß“ (conclusum imperiül)
wurde. Nach dem Westfälischen Frieden gehörte
zur Kompetenz des Reichstags: die Gesetzgebung,
Auslegung der Gesetze, Krieg und Frieden, Bünd-
nisse, Auferlegung von Steuern.
Stände.
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Seit dem Dreißigjährigen Krieg war die landes-
herrliche Gewalt immer mehr gestiegen, und der
Westfälische Friede erteilte der Entwicklung die
reichsgesetzliche Sanktion.
2. Die Landstände. Schon im frühen Mittel-
alter entboten die Stammesherzoge die Großen
geistlichen und weltlichen Standes ihrer Provinz
zu Hof= und Landtagen. Diese Landtage besuchten
zunächst alle geistlichen und weltlichen Fürsten,
Prälaten, Edelherren und Ministerialen, später
blieben die Fürsten weg. Mit der Ausbildung der
Territorialhoheit nahmen alle Reichsfürsten für
sich das Recht in Anspruch, die ihren Territo-
rien durch Wohnsitz oder herrschaftlichen Grund-
besitz angehörende höhere Geistlichkeit samt den
Grafen, Edelherren und Ministerialen zu ihren
Landtagen zu entbieten. Gegenüber diesem Recht
eintwickelte sich allmählich, ganz wie im Reich, das
Recht dieser Stände, bei allen wichtigeren Landes-
angelegenheiten befragt zu werden; sie wurden zu
Landständen, die als Vertreter des Landes bei
Steuererhebungen, militärischen Unternehmungen,
Landfriedensgesetzen, seit dem 14. Jahrh. auch bei
andern Akten der Landesgesetzgebung um ihre Zu-
stimmung ersucht werden mußten. (In Böhmen
z. B. hatten nach der Goldenen Bulle die Stände
von alters her das Recht, beim Aussterben ihres
Herrscherhauses einen neuen Herrn zu wählen.)
Ursprünglich setzten sich die Landtage in den
geistlichen Territorien aus der höheren Geistlich-
keit (Prälaten), den Grafen und Herren und den
Ministerialen, in den weltlichen Territorien viel-
fach nur aus den drei letztgenannten zusammen.
Den eigentlichen Kern bildeten die Angehörigen
der Ritterschaft; als Träger der Landstandschaft
galten später die Burgen bzw. Rittergüter, und so
wurden dann nur noch Rittergutsbesitzer zum Teil
auch solche bürgerlichen Standes) zugelassen. Mit
der vollen Ausbildung des Städtewesens gelangten
auch die Städte zur Landstandschaft, dies um so
mehr, als das Steuerbedürfnis der Landesherren
diese gerade auf die Städte anwies. Doch waren
nicht alle Städte im Besitz der Landstandschaft, so
vor allem nicht die grundherrlichen (Mediat-)
Städte. Die Städte waren durch Abgeordnete
des Stadtrats auf den Landtagen vertreten, wäh-
rend die übrigen Stände in Person erschienen.
Neben den Städten waren bisweilen sogar bloße
Märkte auf den Landtagen vertreten. Der Bauern-
stand besaß aber nur in der Schweiz und in Tirol
sowie in den friesischen und niedersächsischen Ge-
bieten an der Nordseeküste eine Vertretung.
Der äußere Anlaß zur Entstehung der Land-
stände waren Geldverlegenheiten der Landesherren,
die innere Ursache aber lag in dem Zug der Zeit,
der auf körperschaftliche Gestaltungen hinging und
in diesen Schutz der persönlichen Selbständigkeit
und der ständischen Interessen suchte. Natürlich
nutzten die Stände die Geldnot der Fürsten überall
aus, um ihre Rechte und Freiheiten zu erweitern.
In den geistlichen Fürstentümern wußten die