Ich sah deutlich, daß der Krieg in diesem Jahre — da wir ebenso wie 
die Alliierten die Aussicht auf einen raschen Sieg verloren hatten — zu 
einer Kraftprobe der Nerven geworden war. Derjenige Staatsmann würde 
sein Volk heil durch die Krisis hindurchführen, der der beste Psychologewäre. 
Daraus ergab sich: die Regierung sollte sich umgehend eine neue Ver- 
trauensgrundlage schaffen. Das konnte nur gescheben, wenn die „Neu- 
orientierung"“ aus einem Schlagwort zu einer Wirklichkeit wurde. Ich sah 
damals in der Reform des preußischen Wahlrechts das wirksame und 
genügende Heilmittel. 
Anfang Juli schrieb ich an Haeften: 
„Salem, Baden, 7. Juli 1917. 
„Mein lieber Oberstleutnant v. Haeften! 
„Nach unserer Begegnung im März d. J. glaube ich ein, wenn auch 
bescheidenes Anrecht darauf zu haben, Ihnen die folgenden kurzen Aus- 
fübrungen zu senden, in der Gewißheit, daß Sie dieselben so nehmen 
werden wie meine damaligen Außerungen, nicht als der Zudringlichkeit, 
sondern der Hilfsbereitschaft entspringend. 
„Die innere Lage, von der äußeren beeinflußt, scheint mir folgende zu 
sein: eine wachsende Kriegsmüdigkeit in allen Kreisen, eine starke Gärung 
in der ärmeren Bevölkerung, namentlich der arbeitenden Klassen, ge- 
nährt durch die Suggestion der westlichen und amerikanischen Demo- 
kratien und deren Agenten, und stark beeindruckt durch die Ereignisse in 
Rußland. Von diesen Erscheinungen sind die süddeutschen Staaten wohl 
am wenigsten, Dreußen sicherlich am unerfreulichsten berührt. In den 
großen Städten und Industriegebieten spielt die Ernährungsschwierig- 
keit dabei eine besondere Rolle. Eine weitere Rolle spielt der U. Boot. 
krieg, und zwar deshalb, weil die Bevölkerung große Hoffnungen auf 
eine schnelle, entscheidende Wirkung dieser Waffe gesetzt hat und sich nun 
zu fragen anfängt: Sind wir getäuscht worden? Auf Herbst dieses 
Jahres erwarteten weiteste Schichten unseres Volkes Friedensaussichten. 
Eine große Hindenburgsche Offensive, mit der die meisten rechneten, ist 
ausgeblieben und kann ja auch nicht erwartet werden. 
„Von allen Seiten sagen unsere Feinde unserem Volk: Ihr könnt 
Frieden haben, wenn ihr demokratisiert worden seid, vorher aber nicht. 
Dieses infame Wort wird geglaubt und jedenfalls von der Sozial- 
demokratie verwertet. Es fällt auf fruchtbaren Boden, weil die Reichs- 
leitung kein Vertrauen genießt, und speziell in Preußen, weil von dort 
aus das Wort Neuorientierung bis jetzt nur als ein Versprechen in 
die Welt gesetzt worden ist. 
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