Der Interfraktionelle Ausschuß — Sopjet hieß er in Regierungs-
kreisen — trat zusammen. Die Nationalliberalen hatten gebeten, auf-
genommen zu werden, und so wurde er der Wortführer einer noch größeren
Mehrheit. Es herrschte Abereinstimmung darüber, daß vor der nächsten
Session Michaelis entfernt sein müsse. Der Vorsitzende des Ausschusses,
Payer, erhielt den Auftrag, Michaelis schonend aufzuklären. Aber der
Kanzler bielt es für seine Pflicht, auf seinem Posten zu bleiben, und ließ
in der Presse verkünden: Capelle sei in seinen Behauptungen weiter ge-
gangen, als er von Michaelis autorisiert gewesen sei, und werde deshalb
sein Entlassungsgesuch einreichen. Die gesamte Dresse der Majorität pro-
testierte gegen diesen Versuch, Capelle zum Sündenbock zu machen.
Haußmann leitete nunmehr eine Aktion ein, die bezweckte, der Krone
die Initiative zur Lösung der Krisis in die Hand zu geben. Er führte im
Interfraktionellen Ausschuß den Beschluß herbei, daß vier Vertreter der
Mehrheitsparteien zum Chef des Zivilkabinetts gehen und ihn ins Bild
setzen sollten, aber ohne Kandidaten zu nennen, auch wenn GBalentini nach
Namen fragen sollte. Darüber hinaus verfaßte er ein Schriftstück, das auch
den letzten Zweifel an der Loyalität der Moajoritätsvertreter beheben mußte
und charakteristisch für Stil und Takt des Mannes ist:
„Sollte Seine Majestät der Kaiser zum Entschluß kommen, daß ein
Kanzlerwechsel nötig ist, so sind die Vertreter verschiedener Parteien zu
der Uberzeugung gekommen, daß es im höchsten Staatsinteresse ist, eine
ruhige innere politische Entwicklung zu gewährleisten. Hierdurch würde
jene Geschlossenheit hergestellt werden, deren das Volk in Waffen und in
der Heimat dringend bedarf. Der Weg zu diesem Ziele führt über eine
vertrauensvolle Verständigung über die innere und äußere Politik bis zum
Kriegsende. Der Mangel einer solchen Verständigung hat bisher dazu ge-
führt, daß jene innere Geschlossenheit in den letzten Monaten nicht bestand.
„Wir bitten daher Seine Majestät, vor der von ihr zu treffenden Ent-
scheidung, die zur Leitung der Reichsgeschäfte in Aussicht genommenen
Dersönlichkeit zu beauftragen, sich mit dem Reichstag zu besprechen.“
Dieses Dokument wurde am 23. Oktober 1917 persönlich durch die Ab-
geordneten Stresemann, Trimborn, Südekum und Fischbeck Herrn v. Va-
lentini überbracht. Damit war der Sturz von Michaelis besiegelt.
Ich habe später von Haußmann gehört, daß Herr v. Valentini mich an
erster Stelle als Nachfolger des Kanzlers vorgeschlagen habe. Seine Maje-
stät habe abgelehnt, aus dem Gefühl heraus: er könne sich von einem älteren
Staatsmann beraten lassen, nicht aber von einem jüngeren Standesgenossen.
Graf Hertling wurde nach Berlin gerufen. Ich glaube, daß Haus-
minister Graf Eulenburg vor allem diese Kandidatur betrieb. Seine Hoff-
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