Am 28.0Dezember 1917 kam es zum grundsätzlichen Streit. Die russische
Delegation schlug vor: Entsprechend dem von der russischen Regierung an-
erkannten Recht aller in Rußland lebenden Völker auf Selbstbestimmung
bis zur Absonderung sollte der Bevölkerung der von Deutschland besetzten
Gebiete binnen kürzester, genau bestimmter Frist Gelegenheit gegeben
werden, über die Frage ihrer Vereinigung mit dem einen oder dem anderen
Reich oder ihre Anabhängigkeit zu entscheiden. Hierbei sei die Anwesenheit
irgendwelcher Truppen unzulässig.
Deutschland erklärte sich zwar bereit, sobald der Friede mit Rußland
geschlossen und die Demobilisierung der russischen Streitkräfte durchgeführt
sei, die jetzigen Stellungen und das besetzte russische Gebiet zu räumen,
verlangte aber die Anerkennung von Rußland, daß die geforderte Willens-
kundgebung der Bevölkerung bereits in Oitauen, in Kurland, dem östlichen
Teil Livlands sowie in Polen durch berufene Vertreter erfolgt sei und auf
Ausscheidung aus dem russischen Staatenverband laute. Für später wurde
eine Bekräftigung der schon vorliegenden Lostrennungserklärung durch
ein Volksvotum auf breiter Grundlage eingeräumt, bei dem irgendein mili-
tärischer Druck in jeder Weise auszuschalten wäre.
Die russische Delegation faßte ihre abweichende Auffassung dahin zu-
sammen: Wir stehen auf dem Standpunkt, daß als tatsächlicher Ausdruck
des Volkswillens nur eine solche Willenserklärung betrachtet werden kann,
die als Ergebnis einer bei gänzlicher Abwesenheit fremder Truppen in den
betreffenden Gebieten vorgenommenen Abstimmung erscheint.
Damit schlossen die sachlichen Auseinandersetzungen vor der Pause von
zehn Tagen, in der die NRussen versuchen sollten, den Beitritt der Alliierten
zu den Verhandlungen herbeizuführen.
Merkwürdigerweise sahen unsere Delegierten noch nicht klar über die
Unvereinbarkeit der deutschen und der russischen Auffassung. Der kom-
mende Bruch zeichnete sich eigentlich schon deutlich in der russischen Er-
klärung ab.
Die Diplomaten der Zentralmächte waren besonders bemüht, in den
Schlußansprachen den Eindruck zu vermitteln, als ob der Friede auf dem
Marsche wäre. Wir dürfen nicht vergessen, daß hinter dem österreichischen
1 Nach General Hoffmann, a. a. O., S. 201 f., und Czernin (Im Weltkkrieg,
Berlin und Wien 1919, S. 309, 311) bereitete sich der Bruch schon am 26. De-
zember vor durch die Mitteilung Hoffmams an Joffe, daß die russische Delegation
den Begriff eines Friedens ohne gewaltsame Annexionen anders auffasse als die
Vertreter der Mittelmächte. Joffe war durch diese Eröffnung „wie vor den Kopf
geschlagen“ und „verzweifelt“.
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