werden. Das kann er nur durch eine Kriegszielpolitik, die gegen die Alldeutschen,
gegen die Annexionisten in Kampfesstellung von der Regierung verfochten wird.
Lloyd George ist der Typus des englischen Alldeutschen; er will gewaltsam
Annexionen, er will unsere Demütigung; Elsaß-Lothringen ist sein Kriegsziel.
Aber er und ebenso seine Kollegen halten heute Reden über Reden, auf Grund
deren sie den englischen Massen als Anhänger des Verständigungsfriedens er-
scheinen können; das geschieht, weil sie erkennen, daß der englische Krieg verloren
ist, wenn er ein Regierungskrieg wirdie
Wie verfährt dagegen unsere Regierung 7 Der deutsche Krieg ist im August 1914
ein Bolkskrieg gewesen. Er kann es heute wieder werden ... Wir können nicht
im Osten als Schützer auftreten, wir können nicht wünschen, daß unser starker
Arm gefürchtet wird überall dort, wo Unrecht geschieht, wenn wir selbst ein
schreiendes Unrecht durch eine verschleierte Annexion im Westen verewigen wollen.
Dafür hat auch unser Volk ein Empfinden. Es spürt, daß in dieser belgischen
Frage das deutsche Rechtsgefühl gegen uns steht. Es spürt, daß wir nur, wenn
wir uns noch einmal auf den alten Bethmannschen Standpunkt stellen, mit einer
versöhnten Welt an den Verhandlungstisch treten können. Das deutsche Volk
hat Angst vor dem Ausgestoßensein nicht durch Gesetze und nicht durch inter-
nationale Abmachungen, wohl aber durch den Haß der Wellt, den kein deutscher
Sieg jemals niederschlagen kann.
.. Das wichtigste Resultat aber wäre, daß wir in den Massen eine neue natio-
nale Erhebung erleben würden. Aus zwei Gründen haben wir sie nötig. Wir
brauchen sie, um die Feinde zu entmutigen und überhaupt der unerhörten Kräfte-
anspannung der nächsten Monate gewachsen zu sein. Wie die Dinge jetzt laufen,
würde uns während der Offensive ein Feind im Rücken stehen. Aberall machen
sich Ermüdungsspymptome geltend. Die österreichischen Vorgängen waren der
hysterische Aufschrei eines führerlosen Bolkes. Heute war eine große Versamm-
lung auf der Hasenheide an Kaisers Geburtstag, darin eine neue Regierung ge-
fordert worden ist. Es wurde vielfach nach der Republik gerufen. Man erwartet,
daß in den nächsten Tagen 80000 Munitionsarbeiter in Berlin streiken werden.
Es sind Vorkehrungen gegen Sabotage getroffen.
Naumann hat in seiner Rede das Flugblatt erwähnt, das in Hunderttausenden
von Exemplaren verbreitet worden ist und zum Generalstreik auffordert. Dieses
Flugblatt haben selbst die Anabhängigen Sozialdemokraten nicht zu kennen er-
klärt. Aber etwa eine Woche vorher ist ein anderes Flugblatt verbreitet worden,
das mit den Namen der bekanntesten Führer der Anabhängigen gezeichnet war.
In diesem ist in unklaren Ausdrücken gefordert worden, daß nicht nur geredet
werde, sondern daß auch etwas geschehen müsse. Es liegt die Gefahr nahe, daß
jenes zweite Flugblatt als die Erläuterung des ersten empfunden wird — in
welchem Falle die Bewegung als beabsichtigte Aktion einer Reichstagspartei
erscheint und also durch diese Führerschaft zu einer Bedeutung erhoben wird,
die man ihr um jeden Dreis gern versagen möchte.
Wer trägt nun am Ganzen die Schuld? Das schlecht ernährte, frierende Volk,
das eine Duldezeit hinter sich hat (und wäre es nur hinter sich 1), die unerhört in
1 Uber die Unruhen in Wien in der zweiten Hälfte des Januar 1918 vgl. Czernin,
a. a. O., S. 322 ff.4
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