Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

der Geschichte ist, oder jene zögernde Regierung, welche nicht die Brücke abbrechen 
will zu den alldeutschen Annexionisten? ... 
Die moralische Kraftquelle unseres Krieges ist im Versiegen. Noch ist alles zu 
retten. Hier teile ich Eurer Großherzoglichen Hoheit folgende Tatsachen mit: 
1. Der Unpsychologischen hat heute das Gefühl, daß das geschehen müßte, was 
ich hier fordere. Seine Freunde sagen, er nähme die Dinge jetzt sehr ernst 
und sei sich dessen bewußt, daß er sie vorher nicht ernst genug genommen 
hat; aber er weist auf unüberwindliche prätorianische Widerstände hin. 
2. Ich versichere Eurer Großherzoglichen Hoheit: Die Widerstände sind über- 
windlich. 
a) Das Drogramm, das hier vertreten wird, ist bisher von politischer 
Seite an die betreffenden Stellen nur herangebracht worden in der Atmo- 
sphäre internationaler Anbiederung. Da steht der ganze soldatische Instinkt 
dagegen. 
b) Die ganzen Methoden sind „diplomatisch" es kommt nie zu einer 
offenen Aussprache in Kampfhaltung, die notwendig wäre. Ich kenne ein 
Wort: „Ich lasse mich bekämpfen und lasse mich auch besiegen, wenn ich 
Unrecht habe! Alles hat Angst vor der offenen Auseinandersetzung von 
VMann zu Mann. Man fühlt sich diplomatisch behandelt, und da bricht man 
eben plötzlich los und möchte am liebsten alles kurz und klein schlagen. Ich 
wundere mich nicht. Die Absetzung Valentinis ist ein Zeichen solcher leiden- 
schaftlichen Spannung. Es wird wohl jetzt wieder einmal alles geflickt sein. 
Ich glaube, daß. die bistorische Stunde gekommen ist, wo der Kaiser sein 
Volk retten muß: Wahlreform in Kampfesstellung .., unzweideutige Er- 
klärung über Belgien 
Ich sehe keine andere Möglichkeit ein, als daß der Kaiser eingreift. Ich weiß, 
daß der Kaiser, wenm er will, alles durchsetzen kann gegenüber der Obersten 
Heeresleitung, aber der Kaiser muß sich auf die Seite des Volkes stellen, sonst 
ist das Ansehen der Monarchie verloren.“ 
Am 28. Jaonuar 1918 und den darauffolgenden Tagen streikten etwa 
180000 Menschen in Berlin. Die Leitung der Gewerkschaften war unbe- 
teiligt an dem Ausbruch des Streiks. Im Gegenteil—von der alten Sozial- 
demokratischen Dartei war alles getan worden, um die Arbeiter zurück- 
zuhalten. Seit Monaten hatte sie die Wahrheit eingehämmert: Bolsche- 
wismus bedeutet den Zusammenbruch jeder geordneten Freiheit; aber in 
den Massen arbeitete die russische Ansteckung. Die Januar-Ausschreitungen 
waren Trotzkis Werk. An erster Stelle stand die Forderung: „Schleunige 
Herbeiführung eines Friedens ohne Annexionen und ohne Kriegsentschädi- 
gungen und auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker nach den 
Vorschlägen der russischen Volksbeauftragten.“ Nachdem der Streik ein- 
1 Herr v. Kühlmann. Unter „Dinge“ ist die englische Friedensbewegung gemeint. 
2 Chef des Zivilkabinetts, der Ende Januar 1918 auf Verlangen Ludendorffs 
abgesetzt wurde. An seine Stelle trat der den Konservativen nahestehende Herr v. Berg. 
210
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.