über Belgien, noch daran, daß man die Generale so weit bringen könne,
darein zu willigen.
Ein anderer Minister war bei dieser Unterredung zugegen. Er hatte
seinerzeit in der Frage der Kriegsziele entschieden auf meiner Seite ge-
standen, heute sagte er: „Ich bin jetzt auch annexionistischer geworden als
früher.“
Von den Staatssekretären war nur Solf davon überzeugt, daß unser
Schweigen über Belgien eine nicht wieder gutzumachende Sünde sei. Er
sah deutlich die einzigartige Gelegenheit. Aber er hatte seit Jahren vergeb-
lich zum Guten geraten und hatte keine Hoffnung, jetzt noch durchzudringen.
Solf brachte mich mit dem Gesandten im Haag, Rosen, zusammen.
Dieser erfahrene Diplomat kannte die Engländer und Franzosen aus vielen
Verhandlungen. Er war davon überzeugt, daß die elsaß-lothringische
Frage zwischen Frankreich und uns nur durch die Macht entschieden werden
könnte. Die Franzosen würden für die verlorenen Provinzen mit einer
zähen Leidenschaft kämpfen, bis sie an ihrem Sieg verzweifeln müßten. Er
hielt noch immer daran fest, daß vor dem Kriege die Deutschen und Eng-
länder der Verständigung sehr nahe gewesen waren. Die Kriegsleiden-
schaften seien gewiß groß, aber noch heute ständen keine lebenswichtigen
Interessen Englands und Deutschlands gegeneinander. Sollte Frankreich
auf sein Kriegsziel verzichten, so gäbe es dazu nur einen Weg: man müsse
den englischen Kriegswillen erweichen. Dann würden die Franzosen aus-
rufen: Nous sommes trahis! und den ehrenvollen Rückzug aus dem
Kriege sehen.
In meinem Hotel sah ich Herrn v. Bethmann. Er vertrat ohne jeden
Vorbehalt den Standpunkt, daß wir nur mit dem klaren Wort über Bel-
gien in die Offensive hineingehen dürften, gleichviel, was wir von ihr erwar-
teten. Er persönlich glaubte nicht daran, daß sich die militärische Zwangs-
lage für die Feinde ergeben würde, und stellte immer wieder die Frage:
„Was dann?“
Er sprach mit großer intellektueller Festigkeit, ganz ohne die maladie de
doute. Es drängte sich mir das Gefühl auf: wäre Herr v. Bethmann jetzt
im Amte, dann würde er sich diesmal nicht schlechterer Einsicht fügen wie
im Januar 1917. Das tut man nur einmal in seiner Laufbahn. Anser Volk
ist nur allzu geneigt, die Männer des öffentlichen Lebens abzustempeln; es
fehlt die Großmut, ihnen zuzubilligen, daß sie aus ihren Fehlern lernen
können.
Herr v. Bethmann ging selbst zum Reichskanzler und beschwor ihn, zu
handeln. Er kam ganz resigniert zurück: „Ich fürchte, die Herren haben die
Situation nicht durchdacht.“"
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