Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

AUnuvermeidlichkeit umkleiden; sodann die Mitschuldigen, die in Deutschland 
oder den alliierten Ländern an der Arbeit waren, um den Verständigungs- 
frieden zu verhindern. Ihr eigener Seelenfriede fordert von ihnen, daß 
sie sich von der Schuld an der Verlängerung des Krieges freisprechen. 
Ind schließlich kann man verstehen, wenn die Opportunisten in den alliierten 
Ländern, die nur vorübergehend sich dem Verständigungsfrieden zuneigten, 
keinen Wert darauf legen, zu bekennen, daß sie damals aus Kleinmut 
den Soldaten in den Arm fallen wollten. 
Ich will es im folgenden versuchen, den Glaubenssatz zu erschüttern: 
es gab keinen mittleren Weg zwischen Sieg und Niederlage. Ich habe 
mir die Frage sehr häufig wieder vorgelegt: haben wir, d. h. meine Ge- 
sinnungsgenossen und ich, bei der von uns angestrebten Politik auf trüge- 
rischen Voraussetzungen gebaut? Letzten Endes handelt es sich immer um 
die Streitfrage: war das allein maßgebende England von Anfang an 
zu Deutschlands Vernichtung entschlossen? hätte England überhaupt 
in irgendeinen Frieden gewilligt, der nicht den deutlichen Stempel der 
deutschen Niederlage trug? 
Von Anfang des Krieges an gab es Gruppen in England, welche von 
den Diplomaten forderten, an die Arbeit zu gehen. Sie gewannen jedoch 
erst Bedeutung, als die Gewerkschaften durch die russische Revolution 
in Bewegung gekommen waren, und gleichzeitig konservativ gerichtete 
Staatsmänner das Ende des Krieges herbeiführen wollten, um dem „roten 
Frieden“ zu entgehen und den Folgen, die er für die bestehende Gesell- 
schaftsordnung haben würde. Lord Lansdowne, das muß man heute 
rückblickend sagen, wurde wohl vorwiegend von außenpolitischen Er- 
wägungen bestimmt. Er sah bei der Fortsetzung des Krieges die Ent- 
wicklung voraus, die wirklich eingetreten ist: das finanzielle Über— 
gewicht Amerikas, das militärische #bergewicht Frankreichs. Ihm 
bangte, daß eine entscheidende Niederlage Deutschlands die „Balance 
of Power“ zerstören würde. Mit dieser Sorge folgte er den Spuren 
der von ihm empfohlenen und betriebenen Staatskunst; hatte er doch als 
Staatssekretär des Außeren um der „Balance of Pos er“ willen, die 
„Splendid isolation“ aufgegeben und das französische Bündnis gesucht, 
und ebenfalls um der „Balance of Power“ willen als Führer der konser- 
vativen Opposition im August 1914 den sofortigen Eintritt Englands 
in den Krieg gefordert. 
Die Philanthropen und Pazifisten haben während der vier Kriegs- 
jahre mit guten Worten und guter Gesinnung die englische Friedens- 
bewegung reichlich gespeist; deren Rückgrat aber war seit Anfang 1917 
die allernüchternste Realpolitik. Ich muß jedoch zugeben, daß stets aufs 
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