Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

Ich war immerhin genügend beunruhigt, um Beweismaterial zu er- 
bitten. Im Laufe der nächsten Monate wurde ich von der „diagnostischen 
Werkstätte“ der Zentralstelle reichlich mit Denkschriften, Vorschlägen, 
Wochenberichten versorgt. Ich gewann einen genauen Einblick in die 
Methode der „Deutung“, die dort zu einer feinen Kunst ausgebildet war. 
Immer klarer stand mir das strategisch-politische Grundproblem des 
Krieges vor Augen, so wie es der Rohrbachsche Kreis in jahrelanger Zu- 
sammenarbeit herausgestellt hatte. 
Das strategisch-politische Grundproblem in der Beleuchtung der Zentral- 
stelle für Auslandsdienst 
Das englische und russische Lektorat standen im Vordergrund des Inter- 
esses. Die französische Hresse trat an Bedeutung zurück, entsprechend 
ihrem gleichförmigen Charakter, der sich naturgemäß ergab aus dem 
Kriegsschicksal des besetzten Candes und der grande passion der franzö- 
sischen Nation. 
In der russischen Abteilung wurde mit besonderer Sorgfalt die Provinz- 
presse durchforscht. Die Zensur drang in dem weiten russischen Reiche nicht 
überall durch. Das lag einmal an ihrer unordentlichen Handhabung, sodann 
auch an dem impulsiven russischen Temperament, das nicht gehorchen kann, 
wenn Wut oder Freude übermächtig werden. 
Als einer der russischen Lektoren war der Kurländer Silvio Brödrich 
— mit wiederholten Anterbrechungen — in der Zentralstelle tätig. Er war 
die prominenteste Persönlichkeit des Kreises. Seit zehn Jahren war er der 
fübrende Kolonisator in seiner Heimat. Er wurde dort wegen seiner un- 
widerstehlichen Tarkraft scherzhaft der „Bismarck des Ostens“ genannt. 
Er hatte von 1905 bis zum Kriegsausbruch 10 000 deutsche Kolonisten 
aus Südrußland und anderen Teilen des Reiches herausgeholt und auf 
seinem heimatlichen Gebiet angesiedelt, die mißtrauischen, ja feindseligen 
russischen Behörden dabei überredend und vergewaltigend. Nach der Be- 
setzung Kurlands durch deutsche Truppen war es ihm gelungen, die Groß- 
grundbesitzer seines Landes zu einer großen Opfertat zu begeistern. Sie 
stellten ein Drittel ihres Besitzes als Siedlungsland für deutsche Kolonisten 
zur Verfügung. Wenn Livland und Estland erobert sein würden, so ver- 
bürgte er sich, daß auch dort das Beispiel des kurländischen Adels Nach- 
ahmung finden würde. Brödrich wurde in der Bearbeitung der russischen 
Presse durch Rohrbach, den bekannten Publizisten Axel Schmidt, zeit- 
weise auch durch den vorzüglichen Rußlandkenner Friedrich v. Haken 
unterstützt. Haken war vor dem Kriege unter Kriwoschein im russischen 
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