Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

Die Herren im Auswärtigen Amt hatten recht mit ihrem Gefühl, daß 
meine Rede nicht in der Linie der Schamade lag. Der Vertreter der 
Obersten Heeresleitung handelte pflichtgemäß, wenn er mich auf der Bahn 
festhalten wollte, auf die ich mich hatte zwingen lassen. Gewiß, die ge— 
nauen Bedingungen würden die Friedensparteien in den feindlichen Län— 
dern auf den Plan rufen zu einer Kraftprobe mit ihren Regierungen. Sie 
würden diesmal unterliegen und sich erst durchsetzen am Ende der Kam- 
pagne, wenn unser erwarteter Zusammenbruch nicht erfolgt wäre. Meine 
Rede half zum Frieden, nicht zum Waffenstillstand. Das Angebot aber 
sollte die Waffenruhe sofort herbeiführen: das war der Plan. Ich war 
überzeugt, er baute auf Illusionen; aber hatte ich das MRecht, ihn zu 
sabotieren? 
Damals glaubte ich, diese Verantwortung nicht tragen zu können. Ich 
entschloß mich, auf dem unseligen Weg weiterzugehen, den ich nun einmal 
beschritten hatte, und verzichtete auf meine Rede. Heute bereue ich diesen 
Entschluß. Das Schicksal Deutschlands wäre vielleicht ein anderes ge- 
worden, wenn ich damals entgegen dem Gutachten meiner berufenen Dat. 
geber den Karren herumgerissen und zu meiner eigenen Politik zurück- 
gefunden hätte. Meine Rede hätte Deutschland aufgeschreckt, das sich 
keine Rechenschaft gab, was Wilsons DProgramm bedeutete.! Wilson aber 
würde meine 14 Punkte — das steht für mich im Lichte der späteren Ent- 
wicklung fest — als eine Herausforderung genommen und mit entehrenden 
Bedingungen beantwortet haben, die ihn entlarvt und unser Volk damals 
noch zum letzten Widerstand bereitgefunden hätten. Deutschland würde es 
am 5. Oktober noch ertragen haben, wenn die Waffenstillstandsaktion ge- 
scheitert wäre; im November nicht mehr, nachdem fünf Wochen lang 
der entnervende Notenwechsel über das Land hingegangen war und das 
kämpfende und arbeitende Volk sich mit täglich wachsender Sehnsucht 
auf das Aufhören des Blutvergießens eingestellt hatte. Es klingt ver- 
messen, was ich sage, aber ich glaube heute, daß meine Rede zwar sicher 
nicht zu dem Waffenstillstand geführt hätte, den die Oberste Heeresleitung 
schließen wollte, aber auch nicht zu dem Waffenstillstand, wie er am 
11. November geschlossen werden mußte. 
1 Ich füge einen Aufschrieb ein, der am 5. Oktober früh in dem irrtümlichen Glau- 
ben, es ließe sich noch etwas an dem Entschlusse ändern, die Rede fallen zu lassen, 
in meinem Sekretariat hergestellt ist: „ .. Man glaube nicht etwa durch nachträg- 
liches Hräzisieren der 14 Punkte sich helfen zu können. Im heutigen Wilsonschen 
Sinne enthalten sie vielleicht die Forderung nach Abtretung von Posen und Danzig, 
von Flensburg, natürlich von Elsaß-Lothringen — vielleicht wird gar in Schlesien 
eine polnische Irredenta entdeckt.“ 
Prinz Max von Baden 24 360
	        
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