Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

„Das ist das Weltereignis des 5. Oktober, das unter den furchtbarsten aller 
Kriege tatsächlich den Schlußstrich setzt.. Wird der Vorschlag der deutschen Re- 
gierung, wie er ist, angenommen, so wird der Waffenstillstand auf allen 
Kriegsschauplätzen die unmittelbare Folge sein.“ 
So trügerisch und unheimlich dieser Optimismus war, der meine 
Kanzlerschaft begrüßte, ich verdankte ihm doch die einzigen nicht gehetzten 
Tage, die mir während meiner Amtzszeit beschieden waren. 
Ich konnte meine Mitarbeiter kennenlernen, ich konnte planen und 
handeln ohne Druck des Auslandes oder der Obersten Heeresleitung. 
Sehr bald wurden zwei entscheidende Konstruktionsfehler der von mir 
gebildeten Regierung offenbar. 
1. Die Minister aus dem Parlament betrachteten sich nicht als die von 
mir berufenen Mitarbeiter, sondern als die von ihren Fraktionen mir zur 
Seite gestellten Parteivertreter und glaubten sich dauernd der Zustimmung 
ihrer Auftraggeber vergewissern zu müssen. Scheidemann vor allem war 
ein Opfer dieser Abhängigkeit. „Ich muß mit meinen Parteigenossen 
sprechen“, war der ewige Kehrreim. Die deutschen Sozialdemokraten waren 
damals von dem Irrglauben beherrscht, Demokratie und Führergedanke 
schlössen sich aus. Sie verlangten die Teilung der Verantwortung und 
lähmten dadurch die Exekutive. Aber auch die anderen Parteivertreter 
waren in dauernder Fühlung mit ihren Fraktionen, informierend und über- 
redend.! Die Diskretion mußte naturgemäß darunter leiden, auch drangen 
Tagesstimmungen mehr als gut war in unsere Beratungen hinein. 
2. Ein zweiter Konstruktionsfehler kommt auf mein Schuldkonto: das 
Kriegskabinett mit seinen Staatssekretären ohne Portefeuille. Ich hatte 
Wert darauf gelegt, Fachmänner in ihren Amtern zu belassen. Während 
meiner Amtsperiode hätte ich es als große Wohltat empfunden, wären 
die parlamentarischen Staatssekretäre durch eigene Ressorts ausreichend 
beschäftigt gewesen. So trieb sie ihr Tatendrang auf die auswärtige Politik. 
Ich bin überzeugt davon, die Sitzungen über die Wilson-Noten wären 
rascher zu Ende gegangen, wenn die verschiedenen Ministerien auf die Rück- 
kehr ihrer Chefs gewartet hätten. Der überlegene Fachverstand der Unter- 
1 „Wie die Ausschußmitglieder im HDarlament nur die Beauftragten der Frak- 
tionen waren und deren Entscheidung zu folgen hatten, so glaubten auch einzelne 
von den Fraktionen präsentierte Regierungsmitglieder nicht aufhören zu dürfen, 
sich nur als Beauftragte der Fraktion zu fühlen, tatsächlich waren sie auch teilweise, 
z. B. bei der sozialdemokratischen Fraktion, auch nichts anderes als bloße Voll- 
machtträger der Fraktion, ohne deren Entscheidung und Weisung sie in keiner irgend- 
wie wichtigen Frage Stellung nehmen durften. Diese Auffassiung vom Regieren 
ist aber für ein Reich gefährlich,“ (Payer, a. a. O., S. 116.) 
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