Wochen vor der Versenkung der „Lusitania“ wurde auf die Folgen hin—
gewiesen, die eine Torpedierung von Personendampfern für die Kräftigung
der englischen Kriegsmoral haben würde.
Der Obersten Heeresleitung konnten aus der Presse nützliche Aufschlüsse
über die Entwicklung des englischen Kriegsplanes zur Verfügung gestellt
werden.
Mindestens einmal die Woche traten die Referenten zusammen und
tauschten ihre Informationen aus. Sie stimmten in der Kriegszielfrage
nicht immer miteinander überein. Es gab Abirrungen und Schwankungen
manchmal hatten die Worte: Zeebrügge und Lüttich auch in diesem Kreis
einen verlockenden Klang. Aber über das strategisch-politische Grundpro-
blem des Krieges war aus fortgesetzter intensiver Zusammenarbeit eine
Tbereinstimmung herausgewachsen, die für die einzelnen Mitglieder dieser
Gruppe den Charakter eines Glaubensbekenntnisses angenommen hatte:
Erstens: Wir müssen Frankreich oder Rußland oder England außer
Gefecht setzen. Solange die Entente in ihren drei Hauptgliedern militärisch
aufrecht steht, so lange überwiegt das Gefühl, über so viele Menschen und
so viel Material zu verfügen, daß der Sieg früher oder später einmal mit
Notwendigkeit kommen muß. Sobald dagegen eine von den Ententemäch-
ten hors de combat gesetzt wäre, würde es mit dem Glauben an den Sieg
auch in den verbündeten Ländern vorbei sein.
Zweitens: Kann England durch den U. Bootkrieg besiegt werden?
Eins ist sicher: niemals, wenn Amerika im Kriege ist.
ODrittens: Die beiden Mächte, die durch eine unmittelbare Entschei-
dung zu Lande außer Gefecht gesetzt werden könnten, sind Frankreich und
Rußland. Frankreich gegenüber waren die Zertrümmerungsversuche so
lange sinnvoll, als der englische Kriegswille und die englische Kriegs-
maschine noch in den Anfängen ihrer Entwicklung waren. Die große
Chance ging in der Marneschlacht verloren.
Viertens: Wenn unsere Hammerschläge im Westen keine entscheidende
Niederlage der verbündeten Armeen herbeiführen, so hämmern sie den
englisch-französischen Zusammenhalt nur fester.
Fünftens: Rußland ist besiegbar. Das Dogma von seiner AUnbesieg-
barkeit ist falsch und gründet sich auf mißverstandene historische Parallelen.
Seit Kriegsbeginn predigten Rohrbach und seine Freunde:
„Es wird sein wie beim Fällen eines Baumes: bis zu einem gewissen
Punkt bemerkt man keine Wirkung des Sägens; der Baum steht gerade
wie zuvor. Ist man aber beim Durchsägen des Stammes an den kritischen
Punkt gekommen, so beginnt es im Baum zu krachen und, ohne daß der
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