Der Staatssekretär begründete in diesen Tagen mit großer Offenheit
seine Schwenkung. Die „psychologische Methode“, für die er im Bunde
mit mir, Haeften und Hahn so lange gekämpft, habe ihre militärische
Grundlage, d. h. ihren Sinn verloren. Die Waffenstillstandsaktion müsse
unter allen Umständen jetzt ungestört laufen. So war er wachsam besorgt,
kein Wort heraus zu lassen, das unserer Lage nicht angemessen wäre.
Letzten Endes bedrückte ihn, den Grafen Roedern, die Staatssekretäre Erz-
berger und Scheidemann ein Gefühl, wie es später einmal, als es sich um
die Abwehr in der Schuldfrage handelte, ein prominenter Parlamentarier
in die drastischen Worte gekleidet hat: „Wenn ich auf dem Boden liege und
es tritt mir jemand auf den Bauch, so sage ich doch nichts, was ihn ärgert.“
Gröber und Friedberg waren ihrem Empfinden nach entschiedene Geg-
ner dieser Einstellung, aber sie haben sich in der auswärtigen Dolitik eine
große Zurückhaltung auferlegt.
Als später Kriegsminister Scheüch und Conrad Haußmann! in den
engeren Kriegsrat eintraten, wurde die Basis für die von mir erstrebte
Dolitik breiter. Aber auch sie konnten gegen die allgemeine Stimmung
nicht durchdringen. General Scheüch blieb in den Augen des Kabinetts
der Militär, und Haußmann litt darunter, daß Dayer ihm gegenüber stets
die Haltung des älteren und weiseren Freundes einnahm.
In der Frage: Wie treten wir den Feinden gegenüber? würde ich allein
stehen. Diese Erkenntnis drängte sich mir in den ersten Tagen meiner
Kanzlerschaft auf. Ich wollte nicht nur auf die Anterstützung des Auswär-
tigen Amtes angewiesen sein und bestand daher darauf, Simons in die
Reichskanzlei zu berufen. Die Stellung des Chefs lehnte er allerdings ab.
Ich bot diesen Posten Exzellenz Wahnschaffe an, der unter Bethmann
die Reichskanzlei geleitet hatte. Er nahm die Berufung an, wollte aber
gierung auf breiter nationaler Basis aus freier Initiative Seiner Majestät des Kaisers.
Hierzu wäre erwünscht, daß möglichst schon morgen abend ein Telegramm in Berlin
eintrifft, das die Annahme der von Graf Hertling erbetenen Demission mitteilt und
den Wizekanzler v. Paper beauftragt, dem Kaiser sofort wegen der Person des
neuen Kanzlers und der Zusammensetzung der neuen Regierung Vorschläge zu
machen. Das neue Kabinett soll alle Kräfte des Volkes auf breitester nationaler
Grundlage zusammenfassen und der Verteidigung des Vaterlandes nutzbar machen.
Um die Erreichung dieses Zieles zu sichern, soll der Vizekanzler auf ausdrücklichen
Wunsch des Kaisers das Präsidium des Reichstages und die Parteiführer hören
und im engsten Einvernehmen mit der Volksvertretung seine Vorschläge aus-
arbeiten."
1 Haußmann wurde am 14. Oktober, Scheüch am 9. Oktober ernannt. Letzterer
war nicht ständiges Mitglied des engeren Kriegsrats, wurde aber häufig zu den
Beratungen zugezogen. — David wurde Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt.
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