Ist die Freilassung Liebknechts mit der Sicherheit des Vaterlandes ver-
einbar? antwortete er mit einem bestimmten Ja: wenn Gefahr be-
stünde, könne man ihn ja aufs neue einsperren. Lewald vom Reichsamt
des Innern machte geltend: dann würde das Odium der Wiederverhaftung
auf die gegenwärtige Regierung fallen. Scheidemann aber blieb bei
seiner Ansicht, überzeugt, daß im Grunde die Unabhängigen die Fort-
setzung der Haft Liebknechts wünschten und brauchten, um den Mehrheits-
sozialdemokraten im Parlament und vor den Massen immer neue Ver-
legenheiten bereiten zu können. — Wir schoben die Entscheidung noch
hinaus.
Seit der Absendung unserer Note an Wilson ließ mir die Sorge keine
ARuhe, der Präsident möchte in seiner Antwort die Abdankung des Kaisers
fordern. Ich versuchte vorzubeugen. Durch einen von mir besonders ge-
schätzten neutralen Gesandten ließ ich in die Kanäle des amerikanischen
Auswärtigen Amts die Warnung leiten, Wilson möge sich nicht in unsere
inneren Verhältnisse einmischen, das Friedenswerk müsse sonst scheitern:
der Krieg würde weitergehen mit unserer ganzen nationalen Kraft, und
das Vertrauen in den Völkerbundgedanken wäre erschüttert ebenso wie
das Vertrauen zu den Menschen, die dafür eingetreten sind. — Aber ich
hatte im Grunde wenig Hoffnung, daß Wilson sich zurückhalten würde.
Meinen Kollegen gab ich von dem unternommenen Schritt keine Kennt-
nis; aber ich benutte die erste Gelegenheit, die Frage an das versammelte
Kabinett zu stellen: Sollte Wilson, was nicht unmöglich ist, die Ab-
dankung des Kaisers fordern, würde ich das Kabinett geschlossen in Ab-
wehr gegen diese Einmischung hinter mir haben? — Ich bat jeden Staats-
sekretär einzeln, mir zu antworten. Gröber wollte sich für die Gesinnung
der Mehrheit verbürgen. Scheidemann erklärte, die Stimmung sei böse,
besonders erschreckend die Berliner Stimmung. „Aber ich nehme an, daß
solche Bedingung uns nie gestellt wird.“ Erzberger widersprach: Man
müsse auf solche Bedingungen gefaßt sein; aber die Republik wäre der
Untergang des Reiches, „die süddeutschen Staaten sind streng monar-
chisch“. Ich wiederholte dann meine Frage an Scheidemann: „Was wird
das Volk sagen, wenn diese Bedingung gestellt wird?“ Scheidemann er-
widerte: „Wird die Frage so gestellt: Krieg oder Preisgabe der Hohen-
zollern, so wäre das Volk für den Frieden, selbst um diesen Preis. Ich
werde mich auf den Ablehnungsstandpunkt stellen; ein Erfolg ist dann mög-
lich, da so unverschämte Bedingungen wohl auch mit anderen unver-
schämten verknüpft sein würden.“
Ohne Widerspruch zu finden, faßte Payer den Standpunkt des Ka-
binetts folgendermaßen zusammen: „Wir müssen uns gegen solche For-
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