das erfuhr ich aus mehreren Gesprächen mit Herrn v. Berg. Einmal riet
mir der Chef des Zivilkabinetts dringend, den Kaiser zu schonen. Ich
fragte ihn erstaunt, wie er sich das vorstellte. Die furchtbare Lage, in der
wir uns befänden, sei in keiner Weise dazu angetan, irgendeinem von uns,
am wenigsten dem Kaiser, Schonung zu gewähren. Berg wiederholte nur
seine Worte und fügte hinzu: „Denn der Kaiser trägt sich mit Abdankungs-
ideen, und wenn der Kaiser abdankt, müssen auch alle deutschen Bundes-
fürsten abdanken.“ Ich ging auf diese Bemerkungen von Herrn v. Berg
nicht ein. Meine Aufgabe sah ich damals darin, den Kaiser dem Volke
wieder nahezubringen, und die Welle des Vertrauens, die mir entgegen-
kam, bestärkte mich in der Hoffnung, daß es gelingen könnte.
Der einzige Weg, den ich Seiner Majestät empfehlen konnte, war Zurück.
bhaltung in Worten, aber Taten, die dem Volke deutlich machten: die
Autorität des Kaisers deckt den Reformwillen des Kabinetts und über-
windet alle Widerstände, die sich etwa beim Militär und der Bureaukratie
einstellen sollten. Ich versprach mir von bestimmten Handlungen eine über-
zeugende Wirkung; unter anderem dachte ich an einen Wechsel im Jivil-
kabinett. Ich hoffte, Herrn v. Valentinis Zurückberufung herbeizuführen;
war doch seinerzeit seine Entlassung von der Obersten Heeresleitung dem
Kaiser abgetroczt worden, weil er als Anhänger des PVerständigungs-
friedens galt.
Ich hatte mich auf den 6.Oktober bei Seiner Majestät angesagt. Wir
hatten wohl das einzige ruhige Gespräch während meiner Kanzlerzeit.
Der Kaiser empfing mich zu Bette liegend, da er von einem Ischias-
leiden geplagt war. Jede einzelne Entscheidung, die ich von ihm erbat,
wurde ihm schwer, besonders auch die Ersetzung des Kriegsministers und
der beiden Generale. Er litt sichtlich unter der Anfreiheit seiner Ent-
schließungen.
Ich suchte dem Kaiser nahezubringen, daß er wieder festen Boden finden
würde, sobald die Hindernisse entfernt wären, die zwischen ihm und dem
Vertrauen des Volkes stünden. Die politische Situation sei sicher voll
drohender Gefahren; vorausschauende Politik müsse versuchen, Angriffs-
flächen zu beseitigen; es gelte den revolutionären Elementen das Spiel zu
verderben.
Der Kaiser schien meinen Ausführungen zuzustimmen. Als ich aber auf
die Notwendigkeit hinwies, Herrn v. Berg durch eine Persönlichkeit zu
ersetzen, von der es feststünde, daß sie mit weniger Abneigung auf diese
ARegierung blicke als der gegenwärtige Kabinettchef, da wehrte sich der
Kaiser mit Entschiedenheit: die Wahl des Kabinettchefs sei eine Präro-=
gative der Krone.
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