Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

Zwei Tage darauf aber kam der Bescheid aus dem Hauptquartier, daß 
der General Ludendorff die sechsmalhunderttausend Mann doch möglichst 
rasch haben wollte. 
Für die Regierung war die klare Schlußfolgerung aus dem Gutachten 
der Heeresleitung: Fortseczung der Waffenstillstandsaktion, d. h. prinzi- 
pielle Zustimmung zum Näumungsverlangen. Der Staatssekretär Nitter 
v. Mann wies noch einmal am 12.Oktober auf die „Gefahr hin, die dem 
deutschen Industriegebiet durch feindliche Kanonen und Flieger droht". 
Aber auch er beugte sich dem Gutachten der Obersten Heeresleitung: 
„Nachdem ich diese Bedenken vorgebracht habe, muß ich sie in An- 
betracht der Stellungnahme der Obersten Heeresleitung zurücksetzen.“ 1 
Außerhalb der Regierung aber lebte eine Bewegung auf, die auf Ab- 
bruch der Verhandlungen drängte. 
Graf Westarp erschien bei mir und General Ludendorff und stellte 
im Namen seiner Fraktion die Forderung, das Räumungsverlangen ab- 
zulehnen. 
VWalter Rathenau warnte aufs neue, diesmal nicht öffentlich, sondern 
in einem Brief an den Kriegsminister Scheüch. 
„erlin, 9. Oktober 1918. 
Hochverehrte Exzellenz, 
zuvörderst meinen herzlichen Glückwunsch, der sich nicht nur auf Sie, sondern 
auf uns alle bezieht. 
Die gestrigen Erwägungen bitte ich, in kürzester Form rekapitulieren zu dürfen, 
nachdem inzwischen die Wilsonsche Antwort die von uns bereits ins Auge ge- 
faßte Forderung der Räumung gebracht hat. 
Die Räumung ist, abgesehen von der Gefahr eines regellosen Truppenzuges 
in die Heimat, die Besiegelung des Endes unserer Verteidigungsfähigkeit, somit 
Ergebung auf Gnade und Ungnade. Es ist keineswegs ausgeschlossen, daß nach 
der Räumung auf dem Wege erweiternder Interpretationen oder auch mit voller 
Offenheit seitens der übrigen Ententemitglieder neue Forderungen gestellt werden, 
die wir nicht abwenden können. 
Es ist also die Frage: Sind wir am Ende unserer Kräfte, daß wir dieses Schick. 
sal über uns ergehen lassen müssen, oder können wir die Front zum mindesten 
nach entsprechenden Reorganisationen 6—9 Monate halten? 
Der Einwand, daß wir bei späterem Zusammenbruch Schlimmeres zu er- 
warten haben, kann nicht erhoben werden, denn mehr als Unterwerfung auf 
Gnade und Ungnade gibt es nicht, und im Laufe von 200 Tagen treten unter 
allen Umständen auch günstigere Momente ein, die benutzt werden können. Hält 
man sechs Monate, so kann man unter Imständen noch viel länger halten. Alte 
Erfahrungssätze sagen, erstens: es ist alles nur halb so schlimm, zweitens: kann 
1 Amtliche Urkunden Nr. 45. 
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