Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

„Die Stimmung der Truppe hat sehr gelitten und ihre Widerstandskraft 
verringert sich ständig, die Leute ergeben sich scharenweise bei feindlichen 
Angriffen, und Tausende von Marodeuren treiben sich im Etappengebiet 
umher. — Ausgebaute Stellungen haben wir jetzt keine mehr und es 
lassen sich auch keine mehr schaffen. Für die Lastkraftwagen mangelt es 
an Betriebsstoff, und wenn die Osterreicher vom Bündnis abspringen 
und wir aus Rumänien kein Benzin mehr erhalten, muß in zwei Mo- 
naten der Flugbetrieb eingestellt werden.— Von einer „levéee en masse“ 
nach dem Muster jener Carnots zu Beginn der französischen Revo- 
lutionskriege verspreche ich mir nicht viel: sie war damals so ergiebig, 
weil sie zu Anfang eines Krieges vorgenommen wurde, wir aber stehen 
schon im 5. Kriegsjahr, und unsere Reserven an Mannschaften sind schon 
bis zur Reige erschöpft. Wie soll ferner bei einer „levéee en masse“ 
die Kriegsindustrie befähigt bleiben, weiterzuarbeiten, wo sie doch jetzt 
schon den zu stellenden Anforderungen nicht durchaus genügt. 
„Ernsten feindlichen Angriffen können wir bei dem Fehlen von Re- 
serven nicht mehr standhalten. Gelingt es uns, durch Zurückgehen hinter 
das starke Hindernis der Maas unsere Front wesentlich zu verkürzen, 
können wir günstigenfalls ein bis zwei Monate dort aushalten, aber nur 
dann, wenn Hollands Neutralität nicht vom Gegner verletzt oder 
Holland nicht zur Parteinahme gegen uns gezwungen wird, und die 
österreich-ungarischen Truppen nicht von der Westfront abberufen 
werden. 
„Bemerken möchte ich noch, daß bei jedem neuen Rückzuge wir immer 
einen guten Teil unseres Materials im Stich lassen müssen. 
„Die Möglichkeit, über den Dezember auszuhalten, halte ich nicht für 
gegeben, zumal die Amerikaner monatlich etwa 300 000 Mann über den 
Ozean ziehen. Ich möchte betonen, daß schon jetzt unsere Lage eine über- 
aus gefährliche ist und es nach Umständen über Nacht zu einer Kata- 
strophe kommen kann. 
„Ludendorff erkennt nicht den ganzen Ernst der Lage. AUnter allen Um- 
ständen müssen wir zum Frieden gelangen, ehe der Gegner sich den Weg 
nach Deutschland erzwingt, denn dann wehe uns!“ 
19. Oktober 1918. 
„Gestern abend mir zugegangene Berichte lassen leider die Kopf- 
zahlen der Infanterie noch wesentlich niederer erscheinen, als ich annahm: 
Die Divisionen zählen abzüglich des noch nicht eingestellten geringen Er- 
satzes und ihrer unausgebildeten Rekruten (etwa 1100 pro Division) 
durchschnittlich 3000 Mann Infanterie. Unter diesen befinden sich jedoch 
466
	        
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