„Wer sich ehrlich auf den Boden des Rechtsfriedens gestellt hat,
der hat zugleich die Pflicht übernommen, sich nicht kampflos einem
Gewaltfrieden zu beugen. Eine Regierung, die hierfür kein Empfinden
hat, wäre der Verachtung des kämpfenden und arbeitenden Volkes preis-
gegeben. Sie würde vom Zorn der öffentlichen Meinung weggefegt.
„Aber, meine Herren, auch die zweite Möglichkeit müssen wir schon
heute in ihrer ganzen Tragweite ins Auge fassen. Das deutsche Volk
darf nicht blind an den Verhandlungstisch geführt werden. Die Nation
hat heute ein Recht, die Frage zu stellen: wenn nun ein Friede auf der
Basis der Wilsonschen Bedingungen zustande kommt, was bedeutet
das für unser Leben und für unsere Zukunft? Erst unsere Antwort
auf die Fragen des Präsidenten hat, nach dem Widerhall der öffent-
lichen Meinung zu schließen, dem deutschen Volke zum Bewußtsein
gebracht, um was es sich handelt. Jetzt will es Klarheit haben.
„Ja, meine Herren, es ist ein Entschluß von gewaltiger Tragweite
für unsere Machtstellung. Es soll nicht mehr gelten, was wir selbst
für recht halten, sondern was in freier Aussprache mit unseren Gegnern
als Recht erkannt wird. Eine schwere #berwindung für ein stolzes
und sieggewohntes Volk! Denn die Rechtsfrage macht nicht halt vor
unseren Landesgrenzen, die wir der Gewalt niemals freiwillig öffnen
würden: die Sätze, die wir als für uns maßgebend angenommen haben,
berühren auch Probleme innerhalb des Reichsgebiets.
„Meine Herren, mir ist von vielen Seiten entgegengehalten worden,
daß die Annahme der Wilsonschen Bedingungen die AInterwerfung
unter ein Deutschland feindliches Tribunal bedeuten würde, das die
Rechtsfrage ausschließlich unter dem Gesichtspunkt eigener Interessen
entscheiden würde. Wenn dem so wäre, warum scheuen denn dann
gerade die extremen Machtpolitiker in der Entente das Verhandlungs-
zimmer wie der Schuldige das Gericht? Der Kernpunkt des ganzen
Wilsonschen Programms ist der Völkerbund. Er kann gar nicht zu-
stande kommen, wenn nicht sämtliche Völker zur nationalen Selbst-
überwindung sich aufraffen. Die Realisierung der Rechtsgemeinschaft
verlangt das Aufgeben eines Teils der unbedingten Selbständigkeit, die
bisher das Zeichen der Staatshoheit war, von uns wie von den anderen.
„Für unsere ganze Zukunft wird es von entscheidender Bedeutung
sein, in welchem Geist wir dieser notwendigen Entwicklung folgen. Ver-
harren wir innerlich auf der Basis des nationalen Egoismus, der bis
vor kurzer Zeit die herrschende Kraft im Leben der Völker war, dann,
meine Herren, gibt es für uns keine Wiederaufrichtung und Erneuerung.
Dann bleibt ein Gefühl der Bitterkeit, das uns für Generationen
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