Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

tionen zu wiederholen. Die englische Regierung wurde sichtlich nervös über 
den Erfolg dieser Aufklärungsarbeit. 
Im Spätsommer 1915 war es der Zentralstelle für Auslandsdienst ge- 
lungen, Herrn v. Bethmann zu einem bedeutsamen öffentlichen Vorstoß 
zu bewegen, der den Wahrheitskämpfern in England wertvolles Material 
in die Hände gab. Der ideale Tummelplatz für die feindliche Hropaganda 
war bisher das Dunkel gewesen, das über dem deutsch-österreichischen Mei- 
nungsaustausch in den kritischen zwölf Tagen des Juli 1914 schwebte. 
„Warum hören wir nichts von dem Depeschenwechsel Wien—Gerlin?“ 
Diese Frage wurde zum Schlagwort. Schließlich hieß es allgemein, Deutsch- 
land habe Osterreich aufgeheßzt. Störend wurde die sogenannte „West- 
minster Gazette-Depesche“ empfunden: der deutsche Reichskanzler hatte 
am 30. Juli 1914 die folgende Warnung nach Wien gelangen lassen: 
„.. Wir sind zwar bereit, unsere Bündnispflicht zu erfüllen, müssen 
es aber ablehnen, uns von Wien lleichtfertig und] ohne Beachtung 
unserer Ratschläge in einen Weltbrand hineinziehen zu lassen .1 
Dieser Teil der Instruktion wurde am Vorabend des Krieges dem Ber- 
liner Korrespondenten des Blattes als Zeichen des deutschen Friedens- 
willens vom Auswärtigen Amt zur Verfügung gestellt, aber aus Mück- 
sicht für Osterreich dann im deutschen Weißbuch nicht abgedruckt. 
Die „Westminster Gazette“, das Organ Greys, hatte das unbequeme 
Dokument dadurch zu entwerten gesucht, daß sie erklärte, es sei entweder 
reich gegen die Zentralmächte. Dadurch war Deutschlands Stellung mit dem einen 
Verbündeten Osterreich sehr gefährdet, die Balance of Power zu seinen Ungunsten 
zerstört. Während der Marokkokrisis stand England offiziell Deutschland feindlich 
gegenüber. Das diplomatische Ubergewicht der Entente wurde benutzt, um Oeutsch- 
land in Marokko um sein gutes Recht zu betrügen. 
4. Deutschland war friedliebend, solange es sich sicher fühlte; es begann für den 
Krieg zu rüsten, als es sich fürchtete. 
5. Für Deutschland war der entscheidende Faktor die wachsende russische Be- 
drohung. Seit 1912 hatte in Rußland die Kriegspartei das Heft in der Hand. 
6. Es wird gesagt, Deutschland plante den Krieg, um die Weltherrschaft zu ge- 
winnen, darum war es allein vorbereitet und gerüstet. Das ist nicht wahr. Gerüstet 
hatten alle; Frankreich hatte seine Menschenkraft weit schärfer angespannt als 
Deutschland und war ihm, schon ohne Rußland, an Zahl der Soldaten, Masse und 
Güte des Materials ebenbürtig. Lloyd George selbst hat 1908 gesagt: „Wären wir 
in der Lage Deutschlands — würden wir dann nicht rüsten?“ 
1 Bon Bethmann Hollweg an den deutschen Botschafter in Wien, v. Tschirschky, 
am 30. Juli 1914, vgl. Kautsky, Die deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch, 
Charlottenburg 1919, Band II, Nr. 396. Das im Original enthaltene Wort „leicht- 
fertig“ wurde sowohl in dem der „Westminster Gazette“ gegebenen Text wie in 
der Reichstagsrede vom 19. August 1915 ausgelassen. 
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