gefälscht oder durch eine Gegenorder in seiner Wirkung aufgehoben wor-
den. Als sich Herr v. Bethmann am 19. August 1915 entschloß, die öster-
reichische Empfindlichkeit nicht mehr zu schonen und die Echtbeit dieser
Depesche zu verbürgen, tat er dies mit so überzeugendem Ernst, daß später
kaum jemand mehr gewagt hat, ihre Authentizität oder bona fides anzu-
zweifeln.
Nicht minder machten die wiederholten Angaben des Kanzlers über
den Tatbestand der allgemeinen russischen Mobilmachung in der neutralen
und feindlichen Welt Eindruck.
Zweitens: Der Glaube, England führe diesen Krieg mit reinen Hän-
den, verlor an Kraft. Von Monat zu Monat stieg der moralische Ekel
des englischen Liberalismus: Lord Northceliffe war es tatsächlich durch
den Besitz der „Times“ gelungen, die Gesinnung des Mobs in die
höheren Stände heraufschlagen zu lassen. Die Hetzpresse begleitete die
zunehmende Kriegsverrohung mit aufmunternden Zurufen. Der Bischof
von London lobte den Kapitän des „King Stephen“, weil er an
einer verunglückten Zeppelinmannschaft vorbeigefahren war, ohne den
um Hilfe Rufenden und mit dem Wasser Kämpfenden Rettung zu
bringen.
Gegen Ende des Jahres folgte Herr v. Bethmann der Anregung
der Zentralstelle und trat in den Wettkampf der Greuelbeschuldigungen
ein, der seiner vornehmen Natur so zuwider war. Am 9. Dezember 1915
stellte er die gräßliche Mordtat an den PDranger, welche die Besatzung des
unter amerikanischer Flagge fahrenden englischen Kriegsschiffes „Bara-
1 „Wie wir neulich bei einer Erzählung gelacht haben über die Deutschen in
irgendeinem Unterstand, als eine Anzahl Granaten, von geschickten Händen geschleu-
dert, sie geradewegs in ihre fetten Bäuche traf und sie alle in Stücke riß. Es war
ein köstlicher Scherz . Wir lachten und lachten ... Das Töten von Deutschen ist
ihnen (den britischen Tommies) nicht mehr wie das Töten von Ungeziefer, je mehr,
je lustiger. Männer, die Granaten in die feindlichen Schützengräben geworfen und
Minen unter ihren Verschanzungen zum Explodieren gebracht haben, und gelacht
haben, wenn die zerfetzten Körper mit Erdklumpen zusammen in die Luft flogen,
lachen geradeso Über die Sprünge eines Kätchens auf einer französischen Schwelle.“
.. übeer einen besonders geschickten Scharfschützen: „Er grinste, als ich ihn bat,
mir seine größte Strecke mitzuteilen: Ich habe zwölf an einem Nachmittag ab-
geschossen . wenn ich einen oder zwei am Tag töten kann, bin ich zufrieden
manchmal gibt's guten Sport und manchmal nicht . .. die Sache hat schon ihre
komische Seite, wenn man sie nur aus dem richtigen Gesichtswinkel ansieht.“ („Daily
Chronicle“, 30. Juli 1915; Bericht von Pbilip Gibbs, dem bekannten Schrift-
steller.) Der Kanzler hat in seiner Rede vom 9. Dezember 1915 die „Daily Chro-
nicle“ wohl erwähnt, aber es nicht über sich gebracht, die furchtbaren Worte zu
zitieren. „Ich scheue mich, solche Worte auch nur in den Mund zu nehmen.“
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