und zur Nachgiebigkeit drängte. Als Scheidemann nicht aufhörte, sich auf
seine Fraktion zu berufen, wurde der Vizekanzler ungeduldig:
„Wir sind nicht bloß Vollzugsausschuß der Parteien, wir haben selbst
die Verantwortung zu tragen.“
Schließlich einigte man sich auf folgende Fassung:
„Die deutsche Regierung hat von der Antwort des Präsidenten der Vereinigten
Staaten Kenntnis genommen. Der Präsident kennt die tiefgreifenden Wandlungen,
die sich im deutschen Verfassungsleben vollzogen haben und vollziehen. Die
Friedensverhandlungen werden von einer demokratischen Regierung geführt wer-
den, deren entscheidende Machtbefugnisse in der Verfassung des Deutschen Reiches
dauernd verankert sind. Die deutsche Regierung erwartet der gemäß Vorschläge
für einen Waffenstillstand, nicht für eine Waffenstrecstan) Sr so könnte der
Waffenstillstand einen Rechtsfrieden einleiten, wie ihn der Präsident in seinen
Kundgebungen gekennzeichnet hat.“
Mit Recht erklärte Payer die Note für ein „gottergebenes lendenlah-
mes Machwerk“, und Haußmann nannte sie „ausgebeint“. Immerhin,
die Antithese: Waffenstillstand und Waffenstreckung, war stehengeblieben.
Gegen 6 Uhr nachmittags erhielt ich Nachrichten aus Osterreich, die
das Schlimmste erwarten ließen: Wilsons Antwort an Wien sei in der
Tat für die Nationalitäten das Signal geworden, um die Donaumonarchie
zu sprengen. Kaiser Karl sähe die letzte Rettung darin, das Schicksal seines
Reiches von Deutschland zu trennen.
Am Abend ließ sich der österreichische Botschafter PDrinz Hohenlohe
bei mir melden. Er war ein gebrochener Mann. „Die Menschen werden
vor mir ausspucken — ich kann mich in Berlin nicht mehr auf der Straße
sehen lassen.“ Er teilte mir mit, daß der Entschluß seines Souveräns un-
widerruflich gefaßt sei, sich an den Feind zu wenden und um einen Separat-
frieden zu bitten. Er legte mir das Schreiben Kaiser Karls vor, das gleich-
zeitig an Seine Majestät abgehen sollte:
27. Oktober 1918.
„Teurer Freund!
„Es ist Meine Pflicht, Dir, so schwer es Mir auch fällt, zur Kenntnis
zu bringen, daß Mein Volk weder imstande noch willens ist, den Krieg
weiter fortzusetzen.
„Ich habe nicht das Recht, Mich diesem Willen zu widersetzen, da Ich
nicht mehr die Hoffnung auf einen guten Ausgang hege, für welchen die
moralischen und technischen Vorbedingungen fehlen, und da unmnügzes
1 Ameliche Arkunden Nr. 83.
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