Das Furchtbare aber war: Der Schweizer Lockruf drang in mein Ka—
binett ein. Scheidemann faßte die ihm übermittelte Meinung des Herron-
Kreises folgendermaßen zusammen: „ODem deutschen Volke keinen Ge-
waltfrieden, dem Kaiser und dem Kronprinzen keine Gnade.“ Und ich
selbst sollte um jeden Dreis für den Glauben an Wilson gewonnen werden.
Am 27. Oktober erschienen zwei Sendboten des Fürsten Ernst zu Hohen=
lohe-Oangenburg bei mir, Major Draudt und Kapitänleutnant Mensing,
und überreichten mir das folgende Schreiben des Fürsten:
Bern, 25. Oktober 1918.
„Mein lieber Maxl! ern ober
„Meinem gestrigen Telegramm muß ich einige erläuternde Zeilen
folgen lassen, da ich es für Freundespflicht halte, Dich in diesen furcht-
bar schweren, entscheidenden Tagen von dem in Kenntnis zu setzen,
was ich durch mein Hiersein zu erfahren Gelegenheit habe — nicht als
unverantwortlicher Berater (eine mir verhaßte Rollel), sondern damit
das Bild der Lage Dir von möglichst vielen Seiten beleuchtet werde
„Von dem genannten Gewährsmann wurde mir ungefähr folgendes
mitgeteilt:
Die amerikanische Note vom 23. Oktober stellt ein Kompromiß zwischen Wilson,
der die Rolle des Friedensstifters spielen möchte, der einflußreichen auf Deutsch-
lands gänzliche Niederwerfung gerichteten Strömung im Senat und wahrscheinlich
auch den Übrigen Ententestaaten dar und bedeutet insofern einen Erfolg Wilsons,
als es ihm gelungen ist, das Verlangen nach bedingungsloser Kapitulation zu ver-
meiden. Er will über Waffenstillstand und Frieden verhandeln, aber nur unter einer
Voraussetzung: daß die Machthaber in Deutschland, die in den Augen der Entente
für den Krieg und seine Führung verantwortlich sind, verschwinden. Mit den
Vorten „militärische Beherrscher und monarchische Autokraten“ meint der Prä-
sident drei Dersonen: den Kaiser, den Kronprinzen und Ludendorff. Gegen den
Kaiser ist in den Ententeländern eine so raffinierte und systematische Hetze be-
trieben worden, daß er in der ganzen öffentlichen Meinung jener Länder — auch
in Amerika — als die Verkörperung aller wirklichen und erdichteten Greuel dieses
Krieges und als der schärfste Gegner jeder Beschränkung der monarchischen Gewalt
gilt. Dem Kronprinzen schreibt man dieselben Gesinnungen wie seinem Bater zu,
und was Ludendorff betrifft, so ist man überzeugt, daß er nach wie vor den maß-
gebenden Einfluß auf die Politik ausübt, daß er nur das Bestreben habe, die Ent-
wicklung in freiheitlicher Richtung rückgängig zu machen, und daß er bei der Stärke
seiner Persönlichkeit, solange er die Heeresleitung in Händen habe, sich niemals
den Einfluß auf die Politik entreißen lassen werde. Mit diesen drei Männern wird
die Entente niemals über Waffenstillstand oder Frieden verhandeln.
eines Waffenstillstandes, die allerdings von einer Unterwerfung sich kaum unter-
scheiden werden, nur für den Fall gestellt werden, daß mit den militärischen Be.
herrschern und der monarchischen Autokratie verhandelt werden muß.“
1 Kabinettssitzung vom 28. Oktober vormittags 10 Uhr.
Prinz Max von Buden 33 513