So hatte ich am gleichen Tage eine Unterredung mit dem Oberhof:.
prediger v. Dryander, der seit Jahrzehnten dem Hofe nahe verbunden war.
Ich suchte ihn davon zu überzeugen, daß er als Seelsorger und Freund des
Kaisers der Nächste wäre, um ihm den Thronverzicht nahezulegen, voraus-
gesect, daß auch er glaubte, das Interesse der Monarchie verlange dieses
Opfer.
Herr v. Dryander bestritt, in einem genügend nahen Pertrauens-
verhältnis zum Kaiser zu stehen, um der natürliche Vermittler solcher
Gedankengänge zu sein — der freiwilligen Abdankung selbst stand er im
Gespräch nicht schroff ablehnend gegenüber. Er wollte sich meinen Vor-
schlag noch einmal genau überlegen.
An diesem Tage hörte das Kabinett endlich das Gutachten der Generale,
um das wir so lange hatten kämpfen müssen.
Zwei Heerführer waren erschienen, deren Arteil besonderes Gewicht
haben mußte: die Generale v. Gallwitz und v. Mudra, ersterer Führer einer
Heeresgruppe, letzterer Führer einer Armee, beide im Kriege hervorragend
bewährt und von dem Vertrauen ihrer Truppen getragen, General v. Gall-
witz von langjähriger Tätigkeit im Kriegsministerium her auch in den
politischen Kreisen der Heimat wegen seines Scharfsinns und seines ge-
rechten Urteils hochgeschätzt.
Sie waren vor der Sitzung bei mir und sprachen von dem Waffenstill-
standsangebot und seiner furchtbaren Wirkung in einem vorwurfsvollen
Tone, als trüge die Negierung die Schuld daran. Ich legte die wahren
Zusammenhänge dar. Die Herren sahen sich erstaunt an: sie waren beide
nicht befragt worden. Die militärische Auskunft, die sie mir gaben, mündete
in der Forderung: Ruft das Volk zur nationalen Verteidigung auf,
nicht jetzt, sondern sobald die entehrenden Bedingungen des Waffenstill-
stands uns präsentiert werden. Der dann zu führende Kampf wäre nicht
hoffnungslos; wenn jegßztt sofort die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht
in die Maas—Antwerpenstellung zurückgenommen und dadurch die Front
verkürzt würde, dann sei Aussicht, den Abermut des Feindes durch zähen
Widerstand zu brechen. Die in Osterreich zu erwartende Katastrophe
wurde in diesem Gespräch noch nicht von den Herren in Rechnung gestellt,
sie stand aber im Mittelpunkt der sich anschließenden Sitzung.
Die Generale erstatteten den Staatssekretären einen Berichtt von
zwingender Sachlichkeit. In wichtigen Einzelheiten sahen sie die Lage
anders an als der General Ludendorff am 17. Oktober. In einem ent-
scheidenden Hunkt aber stimmten sie mit ihm überein:
1 Amtliche Urkunden Nr. 86.
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