der Kaiser nur drei Tage bliebe, könnte wohl kein Schaden entstehen. Ich er-
widerte ihm, daß ich an die drei Tage nicht glaubte; wenn der Kaiser ab-
reiste, fürchtete ich sehr, daß er nicht wieder kommen würde. Ich habe später
gehört, daß der Kriegsminister Marschall gegenüber sofort seine schweren
Bedenken geäußert hat. Marschall habe entgegnet: In der veränderten
militärischen Lage verlange die Armee danach, den Kaiser zu sehen, auch
wünsche die Oberste Heeresleitung dringend die Anwesenheit Seiner
Majestät im Hauptquartier wegen der Entscheidungen, die unser Rückzug
nötig mache. Scheüch machte geltend, daß auch die Entschlüsse, die in
Verlin gefaßt werden müßten, eine unmittelbare Berührung mit dem
Kaiser erforderten. Er ließ sich die Zusicherung geben, daß der Kaiser so-
fort zurückkehren würde.
Damals schien mir der Kriegsminister die Schnelligkeit zu unterschätzen,
mit der sich die Ereignisse entwickeln konnten.
Ich ließ mich selbst mit Seiner Majestät telephonisch verbinden und sagte
ihm, wie betroffen ich über diesen neuen Entschluß sei und darüber, daß er
ihn so plötzlich und ohne mein Wissen gefaßt habe. Der Kaiser erwiderte,
im Kriege würden schnelle Entschlüsse gefaßt, die Oberste Heeresleitung
wünsche seine Gegenwart an der Front; die Kaiserin sei auch überrascht
worden. Ich bat dringend um Aufschub der Reise, sie würde jetzt den
schlechtesten Eindruck machen. In den nächsten Tagen müßten die aller-
wichtigsten Fragen erledigt werden, die wir unmöglich telephonisch behan-
deln könnten. Der Kaiser meinte: „Du hast Ludendorff abgesetzt, nun muß
ich Gröner einführen.“ Ich entgegnete, daß der Feldmarschall das doch
sicher allein tun könne; ich bäte, empfangen zu werden. Der Kaiser berief
sich auf die Arzte, die die Ansteckungsgefahr der Grippe fürchteten. „Außer-
dem mußt du dich schonen.“ Ich bat, trotzdem herauskommen zu dürfen.
Seine Majestät lehnte ab. Der Ton war ohne persönliche Schärfe. Ich
drängte noch einmüal: „Wir gehen jetzt den schwersten Tagen entgegen, da
können Eure Majestät nicht abwesend sein.“ Der Kaiser wehrte ab: „Wenn
ihr das tut, was ich euch geraten habe, so kann noch alles gut werden.“
Diese Bemerkung bezog sich auf eine Notiz, die Seine Moajestät dem
Staatssekretär Solf zugeleitet hatte. Darin riet er, einen Frontwechsel in
der auswärtigen Dolitik zu unternehmen, d. h. die Friedensaktion nun-
mehr auf England zu stützen.
Während unseres telephonischen Gesprächs war ich mehrfach nahe
daran, um meine Entlassung zu bitten. Ich unterließ es aus dem Ge-
fühl bheraus: Noch nicht. Ich wollte das letzte Druckmittel nicht ab-
nutzen — hatte ich doch in acht Tagen zweimal die Kabinettsfrage
gestellt.
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