Noch am 29. Oktober abends erhielt ich folgendes Telegramm vom
Kaiser:
„Neues Palais, 29. 10. 1918. Reichskanzler, Berlin.
Da morgen wichtige Besprechungen in Spa stattfinden, bei denen auch der
Ersat von Ludendorff in Frage kommt, fahre Ich dorthin. Auch um Meinen tapferen
Truppen für ihre übermenschlichen Leistungen zu danken im Namen des Bater-
landes, wie es Meine Dflicht ist, die Mich in schwerer Zeit zu ihnen weist. Ludendorff
hat, um Dir die Situation zu erleichtern, gehen müssen; sein Fortgehen ist mili-
tärisch ein schwerer Verlust fürs Heer. Diesen zu ersetzen ist Mir Oflicht; und den
Ersatz einzuleben notwendig; daher reise Ich heute abend. An der ganzen Front
war heute Ruhe. Meinen Vorschlag England betreffend hast Du wohl erhalten.
Wilhelm.“
Ich habe an diesem Tage nicht anders annehmen können, als daß die
Oberste Heeresleitung die Entfernung des Kaisers aus Berlin betrieben
und durchgeseczt hat, und sah darin einen illoyalen Versuch, den Kaiser
meinem Dat zu entziehen. Heute weiß ich, daß ich der Obersten Heeres-
leitung unrecht tat. Grünau und Scheüch waren beide falsch berichtet.
Es steht jetzt dokumentarisch fest, daß die Oberste Heeresleitung die Kaiser-
reise nicht angeregt hat. Im Gegenteil, man war auch in Spa durchaus
überrascht und fragte nach Gründen. Dem General Gröner wurde eine
Erklärung abgegeben, die auch Major Niemann von Marschall erhalten
haben will: der Kriegsminister Scheüch habe erklärt, für die Sicherheit
des Kaisers in Potsdam nicht mehr bürgen zu können. Hierbei ist freie
Erfindung im Spiele gewesen.1 Der Kriegsminister hat sich niemals in
diesem Sinne ausgesprochen, wie auch später Freiherr Marschall bestätigt
hat. Die Kaiserreise ist überhaupt nicht vom Kriegsminister befürwortet
worden, er hat sich schließlich nur mit dem feststehenden Beschluß ab-
gefunden.
Ich fasse zusammen: Dem Reichskanzler, Herrn v. Grünau und dem
Kriegsminister ist mitgeteilt worden: die Oberste Heeresleitung verlange
aus militärischen Gründen die Anwesenheit des Kaisers an der Front.
Dem General Gröner ist gesagt worden, daß der Kriegsminister sich für
die Sicherheit Seiner Majestät nicht verbürgen könne. Beide Mittei-
1 Erklärung des Oberstleutnants NRiemann im „Tag“ Nr. 201, vom 30. 5. 22.:
„In meinem Aufsatz in Nr. 195 des „Tag“ befindet sich der Satz: Der Kriegsminister
erklärk dem Chef des Militärkabinetts, für die Sicherheit des Kaisers in Potsdam
nicht bürgen zu können.“ Der damalige Kriegsminister, Generalleutnant Scheüch, hat
mich darauf aufmerksam gemacht, daß augenscheinlich ein Mißverständnis meiner-
seits vorliegt. General Schellch hat, wie General Frhr. v. Marschall bestätigt, weder
diese noch eine ähnlich lautende Erklärung abgegeben.“
Brinz Max von Baden 34 520