folgen? Diese Frage lag wie ein Alp auf mir und raubte die Ruhe meiner
Nächte. Ich beschloß, wenn irgend möglich, Scheidemann im Kabinett
zu binden, keinen weiteren Druck auf mich auszuüben — aus dem Gefühl
heraus, daß er nur in teilnehmendem Verständnis für meine persönliche
Lage den Brief zurückgenommen hatte.
Die Sitzung am 31. Oktober war die erste, der ich wieder beiwohnte.
Ich eröffnete sie mit der folgenden Erklärung:
„Ich habe die Frage der Abdankung Seiner Majestät des Kaisers
ohne Unterlaß seit Tagen erwogen. Ich habe Vertrauensmänner Seiner
Majestät bei mir gehabt und mit diesen die Frage eingehend besprochen.
Ich habe ihnen Material gegeben, um sie in den Stand zu setzen,
Seine Majestät über die Lage im In- und Ausland aufzuklären. Ich
werde dafür sorgen, daß diese Aufklärung nicht unterbrochen wird.
„Ich erkläre aber ausdrücklich, daß eine Abdankung Seiner Majestät
des Kaisers nur eine freiwillige sein kann und darf, denn so allein kann
das Reich und das Heer vor Schaden bewahrt, die Würde Deutsch-
lands gewahrt werden. Voraussetzung für mein eigenes Handeln muß
sein, daß mir die Freiheit des Handelns nicht beeinträchtigt und ver-
mieden wird, einen Druck auf mich auszuüben.“ *
Der Staatssekretär Scheidemann war sichtlich betroffen; er erklärte,
durch die Berührung der Kaiserfrage überrascht zu sein und sie daher
nur unvorbereitet behandeln zu können:
„Die Lage hat sich seit etwa 14 Tagen erheblich verschlechtert,
ganz besonders auch die Haltung des Heeres. Je weiter von der Front
weg, desto mehr. Dazu kommt der Abfall der Bundesgenossen. Die
Welt sucht einen Sündenbock für das Unheil. Die öffentliche Meinung
hält sich dabei an allerlei Außerungen, die der Kaiser früher getan hat,
und die im Gedächtnis geblieben sind. Die Rückwirkung solcher Auße-
rungen auf das Inland ist ganz allgemein und führt zu immer stärkeren
Angriffen auf die Person Seiner Mgjestät. Eigentlich hat sich in
Bürgerkreisen und Bauernkreisen kein Verteidiger für den Kaiser ge-
funden. Bei unseren Arbeitern lebt die Aberzeugung, wir bekommen
nicht den Frieden, der unserem Volk das Weiterleben ermöglicht, so-
lange nicht der Kaiserismus erledigt ist.
„Wir haben uns immer bemüht, aus den Noten Wilsons heraus-
zulesen, daß der Präsident nicht die Abdankung des Kaisers verlangt.
Aber das Auswärtige Amt wird mir bestätigen, daß im ganzen Aus-
land die Auslegung eine andere ist. Man glaubt, daß Wilson sagen
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