Friedberg hielt die Rechtslage für klar; sollte aber der Reichstag, wie
einzelne Schriftsteller, eine Lücke in der Verfassung annehmen, so bliebe
ja die Lösung, daß in Preußen alle Prinzen auf die Regentschaft ver-
zichteten, so daß der Landtag wählen müßte; dann könnte man ja im Reich
und in Preußen die gleiche Wahl treffen.
Gegen Ende der Sitzung teilte Solf ein Telephonat Herrn v. Hintzes mit:
Man solle keine Entschlüsse fassen; ein Kurier sei mit wichtigsten Mit-
teilungen vom Hauptquartier unterwegs.
Auch ohne diese Mahnung hätte das Kabinett in der Frage der Ab-
dankung keinesfalls ein Votum abgegeben.
Ich verhandelte unterdessen mit dem Großherzog und dem Prinzen
Friedrich Karl von Hessen, der mir den Freundschaftsdienst geleistet hatte,
den Großherzog zu begleiten.
Der Großherzog hielt sich nicht für den richtigen Vermittler. Er ver-
weigerte die Reise nach Spa. Ich wandte mich nunmehr an den Prinzen
Friedrich Karl. Er schien mir wie kein anderer geeignet, die abgebrochene
Brücke zum Kaiser wiederherzustellen. Er war der Schwager des Kaisers
und dem Gefühl der Armee nahe verbunden; als Kommandeur hatte er
sein Regiment vorbildlich geführt. Er war selbst verwundet worden. Zwei
Söhne waren ihm im Felde geblieben. Vor kurzem hatte er auf die ihm
angebotene Krone Finnlands vorläufig verzichtet, um den Abschluß des
Friedens nicht zu erschweren. Prinz Eriedrich Karl erbat sich Bedenk.
zeit, um zu entscheiden, ob er die Mission übernehmen könne.
Ich empfing alsdann den Prinzen August Wilhelm von Preußen und
versuchte auch ihm deutlich zu machen, daß der Kaiser handeln sollte, ehe
ein peinlicher Druck des Parlaments vorläge. Ich fand kein Verständnis.
Auf den Nachmittag des 31. Oktober hatte ich zu geheimer Beratung
die Herren Hayer, Wahnschaffe, Friedberg, Drews, Simons und Scheüch
in mein Arbeitszimmer berufen. Mir lag daran, die Frage der Ab-
dankung des Kaisers in einem Kreise von Männern zu diskutieren, die nicht
von der Panik der letzten Septembertage emporgetragen, sondern nach
freiem Ermessen des Kaisers berufen worden waren. Ich legte besonderen
1 Am 11. Oktober hatte der Finnische Landtag den Prinzen Fr. Karl von Hessen
zum König gewählt. Am 22. hatte der Prinz erklärt, er könne vor Ablauf von
zwei Monaten keine Antwort geben, da er kein Friedenshindernis sein wolle.
* Nach dem Buch von Alfred Niemann: „Kaiser und Revolution“ (Berlin,
S. 121 Anm.) soll mir bei dieser Gelegenheit der Drinz August Wilhelm geraten
haben, zurückzutreten, weil ich krank wäre. Ich behaupte mit absoluter Bestimmt-
heit, daß diese Bemerkung nie gefallen, überhaupt die ganze Unterredung nicht richtig
wiedergegeben ift.
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