Der Abgeordnete Held, so wurde in der gleichen Sitzung mitgeteilt, habe
offen die Eventualität eines bayerischen Sonderfriedens angesagt. Da habe
der Staatssekretär Haußmann entsetzt ausgerufen: „Das ist schmerzlich;
bisher haben nur Polen und fremde Nationalitäten uns die Gefolgschaft
aufgesagt. In Bayern schlägt die Panikstimmung um in staatliche Wünsche.
Württemberg ist immun.“
Heute nachmittag, den 3. November, war Dandl selbst erschienen, um
aufzuklären. Er konnte Held von jedem Verdacht reinigen. An der kol.
portierten Außerung war kein Wort wahr; aber der Ministerpräsident
mußte zugeben, daß in Oberbayern, Niederbayern und an der böhmischen
Grenze viel von einem Sonderfrieden gesprochen werde. Eine unmittel.-
bare Bedrohung der bayerischen Grenzen würde nuabsehbaren Einfluß auf
die Volksstimmung haben. Er bat jedoch, das Geschimpfe in Bayern nicht
zu ernst zu nehmen. Der WVizekanzler aber stellte fest: in Bayern würden
heute viele Worte gesprochen, die mit einer großen Anhänglichkeit an das
Reich nicht mehr vereinbar wären.
Nachdem ich so über die stürmische Entwicklung der lechten Tage ein-
gehend orientiert worden war, schien mir die Aussprache mit dem Kaiser
notwendiger denn je. Ich aber sah keinen Weg mehr, die Heimkehr zu er-
zwingen. Mein Entlassungsgesuch hätte am 29. Oktober den Kaiser viel-
leicht umstimmen können; heute hatte ich das deutliche Gefühl, daß es an-
genommen würde. Was dann? Erst später habe ich erfahren, daß Scheide-
mann im Auftrag des Chefs des Zivilkabinetts in diesen Tagen sondiert
worden ist, ob der Kaiser noch zu halten wäre, wenn er, Scheidemann, die
Reichskanzlerschaft übernehmen würde.
Ich versuchte noch eine Einwirkung durch Solf und Clemens v. Delbrück
auf Seine Majestät, hatte aber wenig Hoffnung auf Erfolg.1
Am 4. November telegraphierte ich an den General Gröner, er möchte
so schnell wie möglich nach Berlin kommen. Ich wollte, daß er uns über
die militärische Lage und wir ihn über die inneren Zustände unterrichteten.
1 „Z. November 1918. Eurer Majestät melde ich alleruntertänigst, daß der Vize-
kanzler und der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes soeben mit der Mitteilung
bei mir waren, daß der Eingang der Waffenstillstandsbedingungen täglich zu erwar-
ten sei und daß die Verhandlungen über dieselben nach Meinung des Kabinetts
ohne die Anwesenheit Eurer Majestät nicht geführt werden können. Ich bitte, den
Wunsch der Reichsleitung auf alsbaldige Rückkehr Eurer Majestät schon deshalb
ernster Erwägung unterbreiten zu dürfen, weil nach Lage der Verhältnisse in Ver-
bindung mit den Waffenstillstandsverhandlungen eine Regierungskrisis sehr wahr-
scheinlich ist, die ohne Eurer Majestät Anwesenheit nicht mit der nötigen Schnellig-
keit gelöst werden könnte.
Alleruntertänigst Delbrück. Solf.“
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