Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

scheidungsschlacht sucht, hat er der Zuverlässigkeit seines Instrumentes 
sicher zu sein, der Moral der Menschen nicht minder als der materiellen 
Machtmittel. Der Feldherr — so fordert Clausewitz — muß bei längerer 
Kriegsdauer die subversiven Tendenzen in seine Rechnung einstellen. — 
Der Vorstoß der Flotte, unternommen während der schwebenden, mit 
hundert falschen Hoffnungen begleiteten Verhandlungen, mußte an dem 
Gefühl der Mannschaften scheitern: „Morgen ist Frieden. Was hat es 
für einen Sinn, noch heute zu sterben?“ Anders, wenn nach dem Eintreffen 
der Bedingungen die Flotte ausgefahren wäre, um eine Schmach abzu- 
wenden, die sie am schwersten treffen sollte. Dann hätte das große Unter- 
nehmen gelingen und die nationale Erhebung einleiten und beflügeln 
können. Bei einer rechtzeitigen Aussprache zwischen den leitenden In- 
stanzen wäre es wohl so gekommen, daß ich entweder den Admiral Scheer 
dazu vermocht hätte, zu warten; oder aber, ich hätte eingesehen, daß aus 
technischen Gründen ein Aufschub unmöglich war: dann mußten wir ver- 
suchen, durch eine direkte Anfrage bei Foch die Bedingungen beschleunigt 
berauszuholen, in der Hoffnung, daß die Flottenaktion unseren gedemütig- 
ten Stolz wieder aufrichtete. 
Wenn ich heute rückblickend diese Möglichkeiten zu Ende denke, so mache 
ich allerdings eine Voraussetzung, die auf trügerischem Grunde ruht: 
Seine Majestät mußte mit der Marine, der Heeresleitung und dem Kanzler 
vertrauend zusammenarbeiten und durch sein großes Opfer Heer, Flotte 
und Heimat zur höchsten und letzten Kraftanstrengung befähigen. 
Noch heute stehe ich vor einem Rätsel: Warum hat sich die Marine 
mir nicht anvertraut? Ich kann nur die eine niederdrückende Erklärung 
geben: 
Wohl hat Bismarck die Sonderbündelei der deutschen Staaten aufs 
Haupt geschlagen, und zwar so entscheidend, daß sie sich auch nach der 
Mevolution nur schüchtern zu erheben wagte; aber der Dartikularismus 
sitzt wie ein eingeborener Fluch in der deutschen Natur und hat sich vor 
dem Krieg, vor allem aber während des Krieges, in die Ressorts, in die 
Behörden geflüchtet: in die Marine, in den Generalstab, in das Aus- 
wärtige Amt. Sie haben sich gegenseitig nicht vertraut und selten in bundes- 
genössischem Handeln so zusammen gewirkt, wie das Wohl der Nation es 
forderte. 
Ohne Kiel keine Revolution, ohne die Revolution keine Kapitulation 
am 11. November. 
Dieser schweren Anklage gegenüber wird immer geltend gemacht: die 
nationale Verteidigung wäre in jedem Fall sinnlos und aussichtslos ge- 
wesen. 
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