Graf Roedern: „Was soll der Reichskanzler tun? Sind Sie bereit,
die angedrohten Konsequenzen nicht zu ziehen, bis der Waffenstillstands.
vertrag unterschrieben ist?“"
Scheidemann antwortete: „Ich mache folgenden Vorschlag:
1. Sofortige Mitteilung des Tatbestandes an den Kaiser.
2. Weder der Reichskanzler noch wir ziehen die äußersten Konse-
quenzen, bis der Waffenstillstand abgeschlossen ist. Ich will ver-
suchen, diesen Vorschlag in meiner Fraktion durchzusetzen, kann
aber nicht für den Erfolg garantieren.“
Payer, Roedern und Solf kommen zu mir und dringen in mich, mein
Rücktrittsgesuch zurückzunehmen.
Ich sage den Herren, daß ich nicht meinem innersten Gefühl zuwider-
handeln könne, und setze die folgende Erklärung auf, damit sie Payer
im Kabinett verlese:
„Ich habe meine Stellung zu der Frage der Abdankung Seiner
Majestät des Kaisers durch meine Erklärung vom 31. Oktober 19181
dem Kriegskabinett zur Kenntnis gebracht.
„Ich habe seitdem weitere Schritte unternommen, Seine Maojestät
den Kaiser über die Lage aufzuklären. Ich hatte die Absicht, heute
abend ins Große Hauptquartier zu fahren, um Seine Majestät den
Kaiser persönlich zu unterrichten, und habe diese Absicht dem Herrn
Abgeordneten Ebert heute vormittag mitgeteilt.
„Nachdem nun aber seitens der Sozialdemokratischen Partei ein
Altimatum gerichtet worden ist, das die Abdankung des Kaisers inner-
halb 24 Stunden fordert, ist es mir völlig unmöglich, mein Amt weiter-
bin zu behalten, und habe ich deshalb um meine Entlassung an Seine
Majestät den Kaiser telegraphiert.
„Ich halte es aber für meine Oflicht, es in dieser Stunde auszusprechen,
daß ich den Schritt der Sozialdemokratischen Partei sehr bedaure.
In einem Augenblick, in dem über die Waffenruhe mit unseren Feinden
verhandelt wird und der ersehnte Frieden zu erwarten ist, reißt dieser
Beschluß der Sozialdemokratischen Partei Deutschland mitten entzwei.
„Ich habe das Amt eines AKeichskanzlers übernommen, weil mein
Name im Ausland einen versöhnenden Klang hatte und ich diese
Eigenschaft dem deutschen Vaterland zur Verfügung stellen wollte.
Sollte es mir gelungen sein, mit dazu beizutragen, daß Waffenruhe und
Waffenstillstand herbeigeführt worden sind, so scheide ich aus dem Amt
1 Siehe oben S. 538.
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