Dreizehntes Kapitel
Der 8. November
Am Morgen des 8. November lagen die folgenden Revolutions-
nachrichten vor: Braunschweig rot am 7. abends; in der Nacht:
München rot, das Kriegsministerium vom Arbeiter- und Soldatenrat
beseczt. Die Republik ist ausgerufen, die Abdankung des Königs wird
bis 12 Uhr mittags gefordert. In Stuttgart hat der Arbeiter- und
Soldatenrat die Herrschaft an sich gerissen. Das Gouvernement Köln
verhandelt mit Arbeiter- und Soldatenräten. In der Nacht ist bei
Paulinenaue ein Matrosenzug entgleist, die Matrosen haben den
Fußmarsch auf Gerlin angetreten.
Die Meldungen aus Bayern waren die bösesten. Hier loderte ein
neuer Herd auf, ohne Verbindung mit dem alten; — ein Zeichen, daß die
Infektion im ganzen Volkskörper kreiste.
Das Hauptquartier wird von Haeften über das #msichgreifen der
Bewegung fortlaufend orientiert.
Mir ging von nahestehender Seite die folgende Warnung zu:
„Es ist nicht mehr zu vermeiden, daß sich die Putsche über das ganze Land
ausbreiten werden. Die ungeheure Ansteckungsgefahr liegt in der Tatsache,
daß die Aufruhrbewegung in Hamburg und Kiel erfolgreich gewesen ist. Wir
müssen uns auf einen Bürgerkrieg gefaßt machen. Die Frage ist heute: Wer
soll ihn gewinnen?
Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Bolschewismus zunächst im ganzen
Lande die Oberhand gewinmen wird, es sei denn, daß es gelingt, der Volks-
regierung eine treue Truppe zur Verfügung zu stellen. Das ist ausgeschlossen, so-
lange die Kaiserfrage nicht ihre Erledigung gefunden hat. Die Massensuggestion:
Der Keiser ist schuld! schafft Berührungspunkte zwischen den Truppen, die die
Aufständischen bekämpfen sollen, und den Aufständischen selbst. Wir werden
lberall das lberlaufen erleben, auch von Truppen, deren Treue an der Front
erprobt ist.
Die Mojoritätssozialisten haben durch ihr Altimatum unbesonnen gehandelt;
tatsächlich aber sind sie nicht in der Lage, länger in der Regierung zu bleiben, wenn
die Kaiserfrage nicht erledigt wird. Bleibt der Kaiser, so müssen sich heute die
Mehrheitssozialisten der revolutionären Bewegung anschließen, sollen nicht die
Unabhängigen und die Spartakusgruppe Alleinherrscher bei den Massen bleiben.
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