seit Sommer 1915 vertretene Ansicht die einzig richtige gewesen wäre,
den Krieg gegen das so gut wie erschöpfte Rußland durch einen Angriff
auf Petersburg zu beenden. Er nannte den Entschluß, die Entscheidung
im Westen bei Verdun zu erzwingen, ein Verbrechen. In Kowno fiel
das Wort: „Das Jahr 1916 wird blutig vertrödelt.“ Aber den Vor-
schlag: Verzichten wir auf herausfordernde Kriegsziele im Westen, wies
der General mit den Worten zurück: „Das ist Politik, und Politik habe
ich als Militär nicht zu machen; wollte ich aber eine Politik machen, so
würde sie heißen: Ich hasse England.“ Auf die Frage Nohrbachs, ob
er auch den Feldmarschall sehen könne, erhielt er zur Antwort: „Der
Herzog von Braunschweig ist zu Besuch; außerdem denke ich nicht
daran, Ihnen Gelegenheit zu geben, dem Feldmarschall Ihre Ideen
vorzutragen.“
Wo war der Staatsmann, der hier gegenhalten konnte? Rohrbach
hatte im Jahre 1916 Bethmann für seinen DPlan gewinnen wollen,
nach Osten militärisch, nach Westen politisch zu schlagen. Bethmann —
das war der Eindruck — schien es nicht als seine Aufgabe anzusehen,
sich zielsetzend bei den großen strategischen Entscheidungen zur Geltung
zu bringen.
Dieser Verzicht auf die politische Gestaltnug des Krieges kam mit
erstaunlicher Offenheit in einem Leitartikel der offiziösen „Nord-
deutschen Allgemeinen Zeitung“ zutage, der den öffentlichen Streit
um die Kriegsziele mit der Mahnung schlichten wollte: „Erst schlagen,
dann fragen.“ Rohrbach und seine Freunde dachten unter Berufung
auf Clausewitz anders: Der Feldherr habe den Staatsmann zu fragen,
was er mit dem deutschen Krieg zu erreichen wünsche, und die Ant-
wort, die er dann erhalte, müßte ihn bei der Entscheidung beeinflussen,
wo er schlagen solle. Man dächte oft an das Wort von Bertrand
Russel: „Lord Northeliffe macht Geschichte, ohne sie zu kennen,“ und
möchte es umgekehrt auf den Kanzler anwenden: „Bethmann Hollweg
kennt Geschichte, ohne sie zu machen.“ Wie er im Kriegsrat zögert,
sich und seinen Willen durchzusetzen, so traut er sich auch nicht zu, in der
öffentlichen Meiming des In= und Auslands entscheidende Wir-
kungen zu erzielen. Er unterschätzt die Bedeutung des Wortes, vor
allem seines Wortes. Er hat das Ohr der Welt, wenn er spricht; man
spürt selbst in Feindesland die Aufrichtigkeit, die hinter seinen Reden
steht. In der großen Politik sei es wie in der Dichtkunst: wo die Echtheit
des inneren Erlebnisses fehlt, verhallen die Worte, ohne daß die Men-
schen bewegt werden. Der Kanzler sei sich der ihm innewohnenden be-
wegenden Kraft offenbar nicht bewußt. Wenn er zum Angriff auf die
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