Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

demonstrieren. In der Tat, die mir geschilderte Begebenheit hat mich mit 
einem großen Schrecken darüber erfüllt, wie zuwider — ja verhaßt — es 
dem geistig bedeutenden Deutschen ist, bei gemeinsamen Dingen mit Hand 
anzulegen und persönliche Verantwortung auf sich zu nehmen. 
„Johannes Lepsius! und Siegmund-Schultze war es gelungen, die 
Unterstützung des Kriegsministeriums für den folgenden Plan zu gewinnen: 
„Eine Kommission unabhängiger Männer, vorwiegend Gelehrter, sollte 
sich zusammenfinden und das AKecht erhalten, die deutschen Gefangenen- 
lager unerwartet und periodisch zu besuchen. Es sollten alles Männer von 
einer so unanfechtbaren internationalen Autorität sein, daß ihr Zeugnis 
auch im feindlichen Ausland nicht entwertet werden konnte. Dem Kriegs- 
ministerium wurde gesagt: Die Organisation bezwecke vor allem, unseren 
guten Ruf zu schüczen, und es gälte, private und öffentliche Informationen 
ins Ausland zu leiten, um die Bildung von Greuelmärchen zu zerstören. 
Zugrundelag unausgesprochen die Hoffnung, das Kriegsministerium durch 
rasche Informationen besser als bisher instand zu setzen, untergeordneten 
Stellen, die Härten oder Schikanen verübten, das Handwerk zu legen. 
„Der ganze Hlan stand und fiel damit, daß eine bestimmte Dersön= 
lichkeit an die Spitze der Kommission träte. Es handelte sich um einen 
1 Dr. Johannes Lepsius war ein bedeutender Gelehrter mit der Seele eines 
Künstlers, ein Künstler mit dem Willen eines Missionars. Ihm stand das geschriebene 
und gesprochene Wort wie wenigen Menschen zur Verfügung. Seine dramatischen 
Satiren über England gehören zu den geistvollsten Schöpfungen aus der Kriegszeit. 
Dieser Denker und Kämpfer hätte sicher unserer Propaganda große Dienste leisten 
können, wenn seine Mitarbeit verlangt worden wäre. Leider geriet er in einen scharfen 
Konflikt mit dem Auswärtigen Amt. Lepsius war der Direktor der deutschen Orient- 
Mission. Er sah seine Lebensaufgabe darin, für das mit der Vernichtung bedrohte 
Volk der Armenier Europas Schutz zu organisieren. Zu Anfang des Krieges reiste 
er nach der Türkei und kehrte mit vernichtendem Anklagematerial gegen die türkische 
Regierung zurück. Zum großen Teil waren es deutsche und amerikanische Zeugnisse, 
die er für die Schuld der Türken an den Armenier-Massakers beibrachte. Er war 
nicht einverstanden mit der offiziellen Theologie, für die nach seiner Auffassung die 
Lehren der Bergpredigt auch im Kriege Geltung haben sollten. Gegen den Willen 
des Auswärtigen Amts und die Warnungen gutmeinender Freunde versandte er 
im Jahre 1916 in Tausenden von Exemplaren einen gedruckten Bericht über die 
Türkengreuel. Dann ging er nach dem Haag und hat dort in enger Fühlung mit dem 
Nohrbach-Kreis die internationale Situation nach den Möglichkeiten eines Verstän- 
digungs friedens durchforscht. Er war seit einem Jahrzehnt davon überzeugt, daß 
der russisch-englische Gegensatz in Kleinasien nicht auf die Dauer zu beseitigen wäre, 
daß dagegen die deutsch-englische Berständigung in der türkischen Frage im eigenen 
Interesse beider Großmächte liege. Er sah für England und Deutschland die geschicht- 
liche Verantwortung gegeben, ordnend und schützend in das Geschick der auf türki- 
schem Boden lebenden Fremdvölker einzugreifen, letztlich auch im Interesse der Türkei. 
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