Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

haben; daß man in der serbischen Regierung von der Abreise der Mörder 
Kenntnis gehabt hat, aber nach einem erfolglosen Versuch, sie an der Grenze 
aufzuhalten, den österreichischen Thronfolger ungewarnt in sein Verderben 
hat gehen lassen. 
Weder die Geheimbünde, noch die Regierung Serbiens würden zum 
Schlage gegen die Donaumonarchie ausgeholt haben, wenn sie nicht Ruß- 
lands Solidarität mit den eigenen Zielen hätten voraussetzen dürfen. Ruß- 
land ermutigte Serbien und zweifelte dabei keinen Augenblick, daß es sich 
auf Frankreich würde stützen können. Das Bündnis mit Frankreich war 
immer fester geworden: die beiden Nationen wurden von großen natio- 
nalen Zielen bewegt, die nur durch einen Krieg verwirklicht werden konnten. 
Der Drang Rußlands nach Konstantinopel war seit dem Berliner 
Kongreß offenkundig und nur vorübergehend durch Verlockungen in Asien 
abgelenkt worden. · « 
Seit Richelieu ist in der französischen Geschichte der Wille, an den Rhein 
zu gelangen, mit wechselndem Ungestüm lebendig. Er veranlaßte die Raub- 
züge Ludwigs XIV., er wies der französischen Expansion der Revolutions- 
zeit und des ersten Kaiserreichs die Wege, er beherrschte den Imperialismus 
Napoleons III.1 und war auch in den Köpfen bestimmter Politiker bei 
Kriegsausbruch nicht erloschen. Die Rückgewinnung Elsaß-Lothringens 
aber war der unerfüllte Traum der französischen Nation, für Poincaré 
das Ziel seiner Amtsperiode. 
Im August 1914 drängte der Angriffswille der verbündeten franzö- 
sischen und russischen Regierungen zur Tat, aus dem Gefühl heraus: Heute 
steht England noch auf unserer Seite, wir haben die Uberlegenheit zu Wasser 
und zu Lande. Aber wie lange noch? 
Die Haldane-Mission hatte bei allen Schürern des Krieges nervöse Be- 
klemmungen hervorgerufen. Folgerichtig überstürzte Rußland die allge- 
meine Mobilmachung und den Kriegsausbruch in dem Augenblick, da durch 
die Einigung Englands und Deutschlands auf die sogenannte Grey- 
Lichnowsky-Formels der Weg zur friedlichen Lösung sich öffnete. 
1 Dies wird unwiderleglich durch H. Onckens Publikation bewiesen: Die Rhein- 
politik Kaiser Napoleons III. von 1863 bis 1870 und der Lrsprung des Krieges 
von 1870/71. Stuttgart 1926. 
: Nach dem „Labour Leader“ vom 24. Juni 1915 hat die „Nowoja Wremja“ 
vom 20. Juli 1914 geschrieben: „Ihre lder Tripleentente] Aberlegenheit zu Lande 
und zur See rechtfertigt eine energischere Sprache bei den europäischen Beratungen.“ 
2 Sie lautete: „Wenn der österreichische Bormarsch in Belgrad angehalten wird, 
werden die Mächte prüfen, wie Serbien Österreich zufriedenstellen kann, ohne seine 
souveränen Rechte und seine Unabhängigkeit zu beeinträchtigen“ (Die neue Diskussion 
der Schuldfrage in England, Preußische Jahrbücher, Bd. 166, Heft 2, S. 23). 
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