Full text: Sachsen in großer Zeit. Band I. (1)

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Musikdirektor Giltsch flüstert mir zu: „Von der Dritten 
sind heute wieder viele dabei.“ 
Ich nicke. In solchen Augenblicken komme ich mir vor 
wie ein Tischler, der Maß nimmt, um darnach Bretter für 
den Sarg zuzuschneiden. Vier Arzte arbeiten unausgesetzt. 
Der Staboarzt sagt: „Bitte, wer hier nichts zu tun hat, 
berauogehen!“ 
Auf der Straße rollen Autos vorbei, sämtliche Lichter 
abgeblendet. Krankenwagen und Munitionokolonnen halten 
an den Straßenseiten. Hinter dem einzelnen Gebäude, in 
dem die Verbandsstelle sich befindet, werden Gräber ge- 
Fraben. Ich gehe weiter. Irgend jemand leuchtet mit der 
Taschenlampe. Sofert wird cr von einem Posien angehalten. 
„Licht aus! Hier ist Munitionsdepot!“ 
Gegenüber auf der anderen Seite der Straße herrscht 
lebbafter Betrieb. Dort ist das Pionierdepot. Krachend 
schlägt eine Granate ein — wenige Sekunden später die 
zweite. Links auf dem Felde stehen schwere Geschütze. Da- 
bei ein Doppelposten. Ich frage den Posten nach dem Ka- 
liber. „Dös san Schwere! Verlore gange san se, awer 
mer hawe se wieder geholt!“ 
Ich frage: „Warum stehen sie denn hier 7“ 
„Weil se kaput geschosse san!“. 
Er zeigt mir die Zerstörungen am Rohr und am Ver- 
schluß. Eine Kompagnie Infanterie kommt vorbei. Der 
Führer fragt: „Wo geht's nach Acheville?“ Der Posten 
zeigt den Weg. 
Der Artilleriekampf wird heftiger. Der ganze Himmel 
zuckt in Lichtbüscheln. Deutlich heben sich am Horizont 
schwarze Rauchsäulen ab. Es sieht aus wie Totenfinger aus 
dem Schattenreich. Gegen 2 Uhr nachts sinke ich todmüde 
im Pförtnerhaus eines ehemaligen Schlachthauses in Schlaf. 
Nach etwa zwei Stunden erwache ich durch polterndes Ge- 
räusch. Man trägt irgend etwas herein. Einen Toten. Ich 
schlafe wieder ein. Ein Krachen weckt mich erneut. Mein 
Kompagnieschrei- 
drei Tage und drei Nächte, 
entdeckt, die so fest waren wie Forto. Sie mußten vorerst 
auf das genaueste erkundet, zielreif für die sächsischen 
Mörser festgestellt werden. Deöhalb krochen Oberleutnant 
Willy Meier, Oberleutnant Löwenherz und Leut- 
nant Würker mit Fernsprechern durch Sumpf und Regen 
und Sturm feindwärts, 
bis auf wenige hundert 
Meter an die Russen- 
stellungen. Erwarteten 
den Morgen. Sie gruben 
sich ein, sie wurden ver- 
schüttet und von schnell 
vorgeschobenen Infan- 
teriepatrouillen wieder 
ausgegraben. Sie zeich- 
neten und schrieben, späh- 
ten durch das schärfste 
Glas und hielten allem 
Feuer stand, der Leut- 
nant Würker sogar durch 
bis sie das Außerste und 
Letzte in den Russen- 
werken erkundet hatten. 
Die Mörser warteten und 
schwiegen. Dann ward 
des Wartens ein stürmisches Ende. Die sächsischen 
Mörser taten ihre Mäuler auf und schleuderten über 
Moor und Wald einen Hagel von schwersten Geschossen. 
Die Infanterie setzte zum Sturm an. Sie hatte dank 
solcher Vorarbeit fast keine Verluste. Auf die eine 
Brigade nur einen einzigen Verwundeten. Aber die Beute 
war groß. Die NRussenwerke überm Strome, schnell in 
Trümmer gelegt, bargen ein ganzes Regiment, das nun 
in Gefangenschaft nach Deutschland marschierte. Und frei 
war der Über- 
  
  
ber meldet: „Eine 
schwere Granate 
ist 100 Meter 
daneben einge- 
schlagen.“ 
Feldwebel Uhde 
3. 107. 
Am Narew 
Mitte August 
1915 im östlichen 
unaufhalisamen 
Vormarsch. Die 
vielbewährte 10. 
sächsische Land- 
wehr-Division 
lag in den ver- 
sumpften Wäl- 
dern am Strome 
  
gang über den 
Narew! 
Dort war es, 
wo sich der Divi- 
sionskommandeur 
am dritten Abend 
den Leutnant 
Würker aus sei- 
nem Beobachter- 
loche holen ließ 
und ihn vor allen 
ob seines Helden- 
mutes pries, des- 
gleichen den uner- 
müdlichen Ober- 
leutnant Löwen- 
berz. Und man- 
chen tapferen 
Mann, der hier 
in Sumpf und 
Regennacht sich 
  
  
und wartete auf 
den llbergang. 
Die schweren Bat- 
terien vom Mörserregiment Zwölf sollten ihn vorbereiten, 
die Russenfront am gegenüberliegenden Ufer mürbe häm- 
mern. Es kam eine Nacht mit Regen und Sturm wie im 
späten Herbste. Der Kommandeur des zweiten Bataillons 
ging selber mit Infanteriepatrou#llen auf Erkundung in den 
Sumpfwald vor, während die Russen wie wild mit allen 
Kalibern auf unsere Infanterie in den Wäldern trommelten. 
Es war eine furchtbare Nacht des Wartens und Grauens, 
denn drüben hatte man ungeahnte Stellungen der Russen 
Von sächsischer Artillerie zerschossene russische Stellung vor dem Dorfe Krusea 
hohe Ehren er- 
stritt, wie Vize- 
feldwebel Ha- 
mann, hundert Meter am Feinde auf einem hohen 
Baume hockend und beobachtend, unausgesetzt beschossen. 
Hier geschah es auch, daß ein sächsischer Soldat einem 
Befehl nicht Folge leistete, Feldwebel Hamann. 
„Kommen Sie herunter, Feldwebel!“ hatte ihm der 
Bataillonskommandeur durchs Telephon befohlen, ihn ge- 
beten, als befehlen nicht half, den Mann von seinem ge- 
fährlichen Posten wegzulocken. Hamann blieb oben und 
beobachtete weiter. Bic die Russen die Baumkrone über
	        
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