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war die letzte Anhöhe überwunden: das dort gleichsam in
einem Kessel hingelagerte Dorf mußte Thin le Moutier
sein. Der Wagen rollte das Gefälle hinab, und vor einem
kleinen am Wege, aber durch Bäume versteckt liegenden
Gehöft machte ich Halt. Denn ich wollte nun meine Wagen
sammeln, um mit ihnen geschlossen ins Dorf einzufahren,
während wir auf dem Marsche, des Staubes wegen, meist
große Abstände voneinander zu halten pflegten. Doch es
verging eine und mehr Minuten, ohne daß sich ein Auto
blicken ließ. Jch begab mich zu Fuß auf die Höhe zurück,
von wo man die ganze zurückgelegte Strecke übersehen
konnte: auch von hier ließ sich keine Spur der fehlenden
Wagen wahrnehmen. Nur in der Mulde rechts von mir
entwickelten sich Schützenlinien in breiter Front.
Da sprengte aus einer Waldlichtung ein Stabsoffizier
auf mich zu: „Was bringen Sie für eine Meldung, Herr
Leutnant?“
„Meldung? Ich bin im Begriff, mit meinem Auto
nach Thin le Moutier einzufahren“ — und deutete dabei
auf meinen Wa-
stellten wir unsere Wagen im Schatten dieser Bäume in
Reih und Glied auf. Uberall natürlich Spuren des Kampfes
und eiligen Rückzuges; Ausrüstungsgegenstände lagen in
Massen verstreut, und an einer Mauer brannte noch Feuer
in Kochlöchern. Lebhaftes Schießen ringsum, nur im Orte
selbst herrschte verhältnismäßig Ruhe. Uns gegenüber, den
Häusern entlang, hatte eine leichte Munitionskolonne Auf-
stellung genommen.
Schon glaubten wir, daß bald die Zeit gekommen sein
würde, um im Dorfe Quartiere zu beziehen und nach
etwas Eßbarem zu suchen, als Artillerie im Galopp die
Straße entlangfegte und ganz nahebei Gewehrfeuer ertönte.
Gleichzeitig heulte und sang es dicht über uns: ein Krach,
und vom Pfarrhaus prasselten Schindeln auf die Straße.
Noch ehe wir uns von dem ersten Schrecken erholt hatten,
kamen ein zweites und drittes Geschoß, die hinter der
Kirche explodierten. Kein Zweifel, der Ort wurde jetzt
mit Schrapnells beschossen, und der Kirchplatz, wo der
Gegner mit Recht eine Ansammlung von Truppen ver-
muten konnte,
gen.
„Sie sind wohl
des Teufels,
Herr .. .“
Damit gal-
loppierte er da-
von. Nun er-
schien mir die
Lage doch etwas
sonderbar, und
kurzerhand
schwang ich mich
in meinen Wa-
gen, um kehrt-
zumachen und
nun vor allem
den Verbleib der
in Verlust gera-
tenen Kamera-
den festzustellen.
Ich passierte bald
wieder die Stel-
le, wo der Divi-
sionsstab noch
immer hielt, und .
geriet dann in das dichte Gewühl von Wagen und Truppen.
Als ich mich mühsam dem Dorfe wieder näherte und mich
gerade nach den Automobilen des Generalkommandos er-
kundigen wollte, erblickte ich zwischen Hecken die wohlbe-
kannte Flagge der Stabslimousine. Ich steuerte darauf zu
und wurde mit einem mächtigen Hallo begrüßt, gerade als
ob ich direkten Wego aus der Hölle gekommen wäre. Man
hatte mich bereits für tot oder mindestens für gefangen
betrachtet, und ich erfuhr nun, daß der Divisionsgeneral
in höchsteigener Person die mir folgende Autokolonne auf-
gehalten und mit wenig schmeichelhaften Worten zurückge-
schickt hatte, als er das Ziel unserer Fahrt vernahm.
„Thin le Moutier ist noch von den Franzosen besetzt!“
Ich war ihm entwischt oder hatte den Zuruf nicht ge-
hört; jedenfalls mußte man mich meinem Schicksal über-
lassen, und ich dankte nachträglich dem Zufall, daß ich
nicht blindlings dem Feinde in die Arme gefahren war.
Nun warteten wir wieder Stunden, bis endlich eine all-
gemeine Vorwärtsbewegung einsetzte und von einem Melde-
reiter der Befehl überbracht wurde, wonach die Kraft-
wagen sofort vor der Kirche von Thin le Moutier Auf-
stellung nehmen sollten.
Der Platz, den wir bald erreichten, war mit schönen
alten Bäumen bepflanzt, und um die Straße freizuhalten,
Hauptstraße von Löwen
war das Ziel.
Jetzt wurde es
also ernst. Jeden
Augenblick konn-
te eine Granate
zwischen uns ein-
schlagen oder
Schrapnell=
kugeln uns durch-
löchern. Was
tun? Den Platz
ohne Befehl zu
verlassen war bei
dem Fehlen jeg-
licher Direktiven
ausgeschlossen,
trotzdem muß-
ten wir uns nach
Deckung umse-
hen, und unsere
Hauptsorge galt
unseren schönen
Wagen. Un-
glücklicherweise
hatte dabei in
unserer Nähe ein Tankwagen Aufstellung genommen, dem
wir unsern täglichen Betriebsstoff zu entnehmen pflegten,
und der einige Tausend Liter Benzin mit sich führte. Ein
Volltreffer dorthinein oder überhaupt in einen der Benzin-
behälter konnte eine Katastrophe herbeiführen.
Da erhielt die Munitionskolonne Befehl zum Abrücken,
und so schnell, als es irgend ging, brachten wir nunmehr
unsere Autos an deren Stelle dicht an die halbwegs Schutz
bietenden Mauern. Unser Motorradfahrer war inzwischen
abgesandt worden, um die noch immer unsichtbar gebliebenen
Herren des General-Kommandos zu suchen und unter
Hinweis auf die gefährliche Situation neue Befehle ent-
gegenzunehmen. Jum Glück schossen die Franzosen viel
zu hoch und zu weit, und bald hatten wir uns auch mit
dem eigentümlichen Geräusch der singenden und platzenden
Granaten vertraut gemacht; nur Zweige und Aste stürzten
zuweilen auf den Platz und bewiesen, daß wir gut getan
hatten, die Baumgruppe zu verlassen. Unser Bote kam
nach geraumer Zeit zurück. Wir sollten kehrtmachen und
am Westausgang des Dorfes neue Aufstellung nehmen.
Durch die entgegenflutenden Kolonnen ging es mühsam
wieder hindurch, und das dichte Gewühl und das Durch-
einander wurde noch toller, als aus einer Seitenstraße drei
französische Kavalleristen einbrachen, die natürlich vergeb-