Full text: Sachsen in großer Zeit. Band I. (1)

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war die letzte Anhöhe überwunden: das dort gleichsam in 
einem Kessel hingelagerte Dorf mußte Thin le Moutier 
sein. Der Wagen rollte das Gefälle hinab, und vor einem 
kleinen am Wege, aber durch Bäume versteckt liegenden 
Gehöft machte ich Halt. Denn ich wollte nun meine Wagen 
sammeln, um mit ihnen geschlossen ins Dorf einzufahren, 
während wir auf dem Marsche, des Staubes wegen, meist 
große Abstände voneinander zu halten pflegten. Doch es 
verging eine und mehr Minuten, ohne daß sich ein Auto 
blicken ließ. Jch begab mich zu Fuß auf die Höhe zurück, 
von wo man die ganze zurückgelegte Strecke übersehen 
konnte: auch von hier ließ sich keine Spur der fehlenden 
Wagen wahrnehmen. Nur in der Mulde rechts von mir 
entwickelten sich Schützenlinien in breiter Front. 
Da sprengte aus einer Waldlichtung ein Stabsoffizier 
auf mich zu: „Was bringen Sie für eine Meldung, Herr 
Leutnant?“ 
„Meldung? Ich bin im Begriff, mit meinem Auto 
nach Thin le Moutier einzufahren“ — und deutete dabei 
auf meinen Wa- 
stellten wir unsere Wagen im Schatten dieser Bäume in 
Reih und Glied auf. Uberall natürlich Spuren des Kampfes 
und eiligen Rückzuges; Ausrüstungsgegenstände lagen in 
Massen verstreut, und an einer Mauer brannte noch Feuer 
in Kochlöchern. Lebhaftes Schießen ringsum, nur im Orte 
selbst herrschte verhältnismäßig Ruhe. Uns gegenüber, den 
Häusern entlang, hatte eine leichte Munitionskolonne Auf- 
stellung genommen. 
Schon glaubten wir, daß bald die Zeit gekommen sein 
würde, um im Dorfe Quartiere zu beziehen und nach 
etwas Eßbarem zu suchen, als Artillerie im Galopp die 
Straße entlangfegte und ganz nahebei Gewehrfeuer ertönte. 
Gleichzeitig heulte und sang es dicht über uns: ein Krach, 
und vom Pfarrhaus prasselten Schindeln auf die Straße. 
Noch ehe wir uns von dem ersten Schrecken erholt hatten, 
kamen ein zweites und drittes Geschoß, die hinter der 
Kirche explodierten. Kein Zweifel, der Ort wurde jetzt 
mit Schrapnells beschossen, und der Kirchplatz, wo der 
Gegner mit Recht eine Ansammlung von Truppen ver- 
muten konnte, 
  
gen. 
„Sie sind wohl 
des Teufels, 
Herr .. .“ 
Damit gal- 
loppierte er da- 
von. Nun er- 
schien mir die 
Lage doch etwas 
sonderbar, und 
kurzerhand 
schwang ich mich 
in meinen Wa- 
gen, um kehrt- 
zumachen und 
nun vor allem 
den Verbleib der 
in Verlust gera- 
tenen Kamera- 
den festzustellen. 
Ich passierte bald 
wieder die Stel- 
le, wo der Divi- 
sionsstab noch 
immer hielt, und . 
geriet dann in das dichte Gewühl von Wagen und Truppen. 
Als ich mich mühsam dem Dorfe wieder näherte und mich 
gerade nach den Automobilen des Generalkommandos er- 
kundigen wollte, erblickte ich zwischen Hecken die wohlbe- 
kannte Flagge der Stabslimousine. Ich steuerte darauf zu 
und wurde mit einem mächtigen Hallo begrüßt, gerade als 
ob ich direkten Wego aus der Hölle gekommen wäre. Man 
hatte mich bereits für tot oder mindestens für gefangen 
betrachtet, und ich erfuhr nun, daß der Divisionsgeneral 
in höchsteigener Person die mir folgende Autokolonne auf- 
gehalten und mit wenig schmeichelhaften Worten zurückge- 
schickt hatte, als er das Ziel unserer Fahrt vernahm. 
„Thin le Moutier ist noch von den Franzosen besetzt!“ 
Ich war ihm entwischt oder hatte den Zuruf nicht ge- 
hört; jedenfalls mußte man mich meinem Schicksal über- 
lassen, und ich dankte nachträglich dem Zufall, daß ich 
nicht blindlings dem Feinde in die Arme gefahren war. 
Nun warteten wir wieder Stunden, bis endlich eine all- 
gemeine Vorwärtsbewegung einsetzte und von einem Melde- 
reiter der Befehl überbracht wurde, wonach die Kraft- 
wagen sofort vor der Kirche von Thin le Moutier Auf- 
stellung nehmen sollten. 
Der Platz, den wir bald erreichten, war mit schönen 
alten Bäumen bepflanzt, und um die Straße freizuhalten, 
  
Hauptstraße von Löwen 
war das Ziel. 
Jetzt wurde es 
also ernst. Jeden 
Augenblick konn- 
te eine Granate 
zwischen uns ein- 
schlagen oder 
Schrapnell= 
kugeln uns durch- 
löchern. Was 
tun? Den Platz 
ohne Befehl zu 
verlassen war bei 
dem Fehlen jeg- 
licher Direktiven 
ausgeschlossen, 
trotzdem muß- 
ten wir uns nach 
Deckung umse- 
hen, und unsere 
Hauptsorge galt 
unseren schönen 
Wagen. Un- 
glücklicherweise 
hatte dabei in 
unserer Nähe ein Tankwagen Aufstellung genommen, dem 
wir unsern täglichen Betriebsstoff zu entnehmen pflegten, 
und der einige Tausend Liter Benzin mit sich führte. Ein 
Volltreffer dorthinein oder überhaupt in einen der Benzin- 
behälter konnte eine Katastrophe herbeiführen. 
Da erhielt die Munitionskolonne Befehl zum Abrücken, 
und so schnell, als es irgend ging, brachten wir nunmehr 
unsere Autos an deren Stelle dicht an die halbwegs Schutz 
bietenden Mauern. Unser Motorradfahrer war inzwischen 
abgesandt worden, um die noch immer unsichtbar gebliebenen 
Herren des General-Kommandos zu suchen und unter 
Hinweis auf die gefährliche Situation neue Befehle ent- 
gegenzunehmen. Jum Glück schossen die Franzosen viel 
zu hoch und zu weit, und bald hatten wir uns auch mit 
dem eigentümlichen Geräusch der singenden und platzenden 
Granaten vertraut gemacht; nur Zweige und Aste stürzten 
zuweilen auf den Platz und bewiesen, daß wir gut getan 
hatten, die Baumgruppe zu verlassen. Unser Bote kam 
nach geraumer Zeit zurück. Wir sollten kehrtmachen und 
am Westausgang des Dorfes neue Aufstellung nehmen. 
Durch die entgegenflutenden Kolonnen ging es mühsam 
wieder hindurch, und das dichte Gewühl und das Durch- 
einander wurde noch toller, als aus einer Seitenstraße drei 
französische Kavalleristen einbrachen, die natürlich vergeb-
	        
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