Full text: Sachsen in großer Zeit. Band I. (1)

Wenn Ihr mich sehen könntet, würdet Ihr über meinen 
Schmerbauch staunen. Denn die Verpflegung ist tadellos; 
z. B. heut abend: „Labskausch“ und Faßbier, Tee und 
felbstgebackenes Graubrot. — Sonntag abend gab's Span- 
ferkel, dazu schönes Gemüse in Hülle und Fülle. Auch der 
Wein ist noch nicht ausgegangen. Allerdings 14 Tage 
lang gab's mal kein Bier, auch Frischfleisch und Kartoffeln 
waren zu Ende, wir mußten Dörrkartoffeln essen und 
Büchsenfleisch. Ebenso herrschte Mangel an Zigaretten, vor 
allem an Streichhölzern. Auch mit Wasser sollte gespart 
werden. Weingläser gab's für uns 43 Mann in der Messe 
noch vier. Als Likörgläser dienten Eierbecher usw. Jetzt 
geht's uns aber wieder besser. 
Eins habe ich nicht erwähnt, den Untergang der „Em- 
den“ und den Fall von Tsingtau. Am 12. kam wohl die 
erste Nachricht, aber wir hiel- 
ten's für eine der vielen eng- 
lischen Lügen. Nun ist's doch 
wahr gewesen. — Arme Em- 
den! Tapferes Tsingtau! 
Ende November. Pastor 
NRost schreibt an die Ge- 
schwister: — 
Der November geht z 
Ende, und wieder bin ich fern 
von Europa und muß daran 
denken, daß es Zeit wird, 
Weihnachtsbriefe zu schreiben. 
Das s. Weihnachten naht, das 
ich in fernem Meer verleben 
werde, falls ich überhaupt 
noch am Leben bin. 
Ich möchte jetzt manchmal 
in Deutschland sein! Welche 
Bewegung, welche Begeiste- 
rung mag da berrschen! 
Welche Opferwilligkeit auch 
grade wieder in den Weih- 
nachtstagen. Denn bei vielen 
wird nicht nur Trauer, son- 
dern auch die Not als unge- 
betener Weihnachtsgast an- 
klopfen, und es gilt viel Not 
zu lindern. — 
Ein schöner Zug, wie ge- 
rade das einfache Volk am 
allermeisten bereit ist zu 
opfern: Bei uns wird ange- 
regt, fürs Rote Kreuz zu 
sammeln. Über s600 Mark kamen zusammen. Dabei 
hatten die Offiziere den Leuten nur gesagt, sie sollten 
sich's mal überlegen, ob sie nicht auch „ein paar 
Groschen“ geben wollten. — Mehrere Unteroffiziere gaben 
blo0 Mark und gefragt: warum 7 gab einer zur Antwort: 
„Ich brauch's nicht und dort ist's gut aufgehoben!“ 
S. M. S. „Gneisenau“, 2°5. 11. 1914. 
Liebe Geschwister! 
In vier Wochen ist Weihnachten und in fünf Wochen 
läuten die Glocken feierlich ein neues Jahr ein und ein 
altes aus. — 
Wir haben das manchmal daheim gehört, wenn die 
Glocken der Dorfkirche über die schneebedeckten Acker in 
stiller Weihnacht klangen und haben manchmal gelauscht, 
wenn leise harmonisches Geläut aus der Ferne von Norden 
herüberklang. Aber wer von uns wird's diesmal hören? — 
und — dennoch zieht ein tiefes Klingen von Dankbarkeit 
und schöner Erinnerung durch unsere Seelen, und wir 
  
Domizlaff, 
Feld-Oberpostmeister im Geoßen Hauptquartier, 
im Frieden Oberpostdirekror zu Leipzig 
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alle zusammen werden doppelt fühlen, daß wir trotz weiter 
räumlicher Trennung uns nicht ferngerückt sind. 
Grade diese Kriegszeit hat ung manchmal aneinander 
denken lassen und dabei sind manche Bilder schöner Ver- 
gangenheit, gemeinsamen Erlebens uns allen wieder in 
den Sinn gekommen. 
Was die Glocken uns singen werden? Friedensglocken 
werden's noch nicht sein. Und wo und wie werden wir 
Weihnachten feiern? Sehr freut's mich, daß die Eltern 
sich wenigstens am Glück der Enkelkinder freuen dürfen, 
und ich denke mir, daß sie wohl am 2. Feiertag nach 
Döbeln kommen, falls nicht Schweikershain Euch zusammen- 
zieht. — Wir Söhne? — Ja, wie wir das alte Jahr be- 
schließen oder ob wir nicht schon vorher die Augen ge- 
schlossen haben, wer will's wissen. Aber dessen bin ich doch 
gewiß, daß, wo immer es sei, 
ein heimatlich Singen unsere 
Seele durchzieht, tiefe Dank- 
barkeit uns bewegen wird. 
Und wo diese Zeilen Euch 
treffen, ob im trauiichen 
Parrhaus oder im Biwak in 
Feindesland, ob im gemütlich 
eingerichteten Heim oder in 
nur eben erst hergerichtetem 
Baracken, ob im Sachsenland 
oder an deutscher Meeres- 
küste: da sollen sie Euch allen 
sagen, daß Euer ferner Bruder 
Euer gedenkt in treuer alter 
Dankbarkeit. Hans Rost. 
Dies war sein letzter Brief. 
Was er ahnte, es traf ein. 
Weder das Weihnachtsfest 
noch das ihm verliehene 
Eiserne Kreuz ausgehändigt 
zu erhalten, hat der wackere 
junge Geschwaderpfarrer aus 
Sachsen an Bord des Flagg- 
schiffes des Admirals Spee 
noch erlebt. In der Seeschlacht 
bei den Falklandoinseln ist 
auch er, ein Held, gefallen. 
Über seinen Tod sind 
seinen Angehörigen folgende 
Nachrichten zugegangen: 
„Marinepfarrer Hans Nost 
ist gefallen während des 
Gefechts 8. 12. 14 auf dem achtern Gefechts-Verbandplatz, 
den ein einziger Schuß zerstörte. Ich habe ihn noch einige 
Zeit vorher emsig bei der Arbeit gesehen, Verwundete ver- 
binden helfen. Er war an diesem Tage, wie während des 
ganzen Krieges von heiterer Gemütsruhe, hat gewissenhaft 
Tagebuch geführt (auch während des Gefechts) und wie 
seime rein amtlichen Pflichten, so auch die Hilfe bei den 
Verwundeten sehr ernst genommen. Er hat der Mann- 
schaft oft Vorträge gehalten über Gneisenau, Körner u. a. 
und war allgemein beliebt wegen fröhlichen Wesens. Er 
saß mir schräg gegenüber bei Tisch und war ein angenehmer 
geistreicher Plauderer.“ 
Den 1. 2. 15. 
(gez.) Pochhammer, Korvettenkapitän. 
Pastor A. Scholten in London bemerkt hierzu: Korvetten- 
kapitän Pochhammer von S. M. S. „Gneisenau“. 
erzählt, wie viel Herr Pfarrer Rost in den schweren Kämpfen 
der Besatzung gewesen sei, er habe enorm viel und 
Großes geleistet.
	        
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