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tober 1914 bestieg jeder von ihnen eine der Weiden und
spähte von da zum Feinde hinüber. Eine Zeitlang blieben
sie unbemerkt, dann aber wurden sie entdeckt und unter
Feuer genommen. Die beiden ließen sich nicht schrecken,
hielten getreulich auf ihren Posten aus und setzten die Be-
obachtung fort bis sie, beide von demselben Schrapnell
verwundet, zur Erde stürzten. Zur Belohnung für ihr
tapferes Verhalten wurden Dannenberg und Hoelzig zum
Eisernen Kreuze eingegeben.
Sein letzter Brief
27. Oktober, vormittags ½11 Uhr.
Ihr Lieben alle! Es ist ein Wunder, daß ich jetzt noch
unverletzt bin. Heute morgen sollte unser zweites Bataillon
die Schützengräben an der Straße stürmen. Der linke
Flügel sollte an der Bahn entlang gehen.
Bis ½6 blieben wir in den Wällen bei der Fabrik,
dann stiegen wir herunter und legten uns auf den Boden,
um die Wirkung der Artillerie abzuwarten. Vor uns lagen
Siebente und Fünfte. Die Artillerie schoß etwa 10 Mi-
nuten lang sehr
Eo half nichts, wir mußten auf jeden Fall zurück.
Denn meine erste Gruppe ist hin. Fünf Mann von ihr
sind nun gefallen, einer sitzt noch neben mir.
Auf allen Vieren kroch ich. Ich kam an die Linie.
Die meisten waren schon zurück; die noch da liegen, können
es nicht — tot oder verwundet.
Weiter?
Dies verfluchte Flankenfeuer! Sowie ein paar Mann
aufsprangen, wurde das Feuer sehr lebhaft. Manche riefen
flebentlich: „damerad, Kamerad, nimm mich
doch mit!“ Doch jeder muß ja froh sein, das eigene
Leben zu retten. *êç1
Bei uns rechts gab es keine verlassenen Gräben, das
war das Dumme. Nirgends war Deckung zu finden.
In einem Kartoffelfeld lag die neunte Kompagnie mit
Hauptmann Otto und dem neugebackenen Leutnant Pfeil.
Ich setzte ihnen die Lage augeinander. Er konnte nicht glau-
ben, daß die Gräben besetzt seien, schickte einen Zug vor;
hundert, nein, nur sechzig Meter kam er vor.
Weiter nicht.
Der Feldwebel kam entsetzt zurück mit ein paar Mann.
Liegen bleiben
heftig; dann stie-
gen drei Wurst-
raketen in die
Luft, das Zeichen
zum Angriff!
Wir gingen
vor, immer der
schwarzen Linie
nach, die sich vor
uns bewegte.
Durch ein paar
Gräben ging es
durch —in einem
liege ich jetzt —
immer weiter.
Ganz nahe wa-
ren wir an den
konnten wir so
-offen nicht. Es
wurde hell, und
bei Tage wären
wir alle abge-
schossen worden.
Gruppenweise
zurückkriechen
wurde befohlen.
Zurück ging es
hinter ein Rü-
benfeld, wo sich
die Leute, so gut
ees ging, ein-
gruben. Ich bin
noch weiter, trotz
des Feuers. Halb
gekrochen, halb
Bäumen. Dasfie-
len plötzlich alle
Sterne vom
Himmel, es knallte, blitzte und krachte tausendfältig. Die
vordere Linie warf sich hin. Nein, wir mußten doch vor-
wärts, die Gräben stürmen! Sonst wurden wir zerschossen!
Also mit Hurral vorwärts und die vordere Linie mit-
genommen! ·
Wahnsinniges Feuer. Verwundete schreien. Viele
liegen stumm da. Der Rest wirft sich hin. Rechts von uns
geht der junge Reserveleutnant Wolf noch einmal vor.
Dann ich mit meinem Zuge. Beide Angriffe brechen zu-
sammen. -
Und noch einmal stürme ich vor. Englische Schrap-
nells krepieren. Ein paar tüchtige Soldaten stürzen noch
mit mir vor, fallen. Wir hatten unheimliche Wut. Aus
der linken Flanke bekommen wir hauptsächlich Feuer, merke
ich, als ich still liege. Ich lag ganz vorn. Das war jeden-
falls meine Rettung, denn durch einen kleinen Hügel hatte
ich Deckung. «
Was nun?
Vorwärts konnten wir nicht weiter. Dicht vor uns
blitzte das Mündungsfeuer vieler Gewehre, und wir waren
ein paar armselige Männlein. Vorläufig abwarten. Ich
war ganz ruhig. Ob du wohl lebendig davonkommst?
Ich war gespannt darauf, aber nicht ängstlich, sondern
interessiert. Mit den Fingern buddelte ich eine Kuhle,
um mir Deckung zu verschaffen und warf die lose Erde
vor den Kopf, nach links hauptsächlich.
Stöhnen ringsum.
Ruine der Kirche Cernay bei Reims
gerannt, nach
links zu. In
einem verlassenen Graben war der Major, der Bataillons-
stab und die Fahne.
Ich erzählte, was ich wußte.
Wir gingen in einen Graben noch weiter hinten.
Eine Meldung kam plötzlich, der Graben an den Bäu-
men sei frei und von der achten Kompagnie besetzt. Ihr
könnt Euch denken, wie ich dastand. Es sah aus, als wäre
ich aus Feigheit zurückgeblieben. Wenigstens mir schien
es so. Ich sprach mit ein paar Leuten von der Achten,
die jetzt mit mir hier sitzen. Sie waren meiner Ansicht,
daß die Meldung falsch sei.
Mit Erlaubnis des Herrn Majors kroch ich nun bis
in das einzelne Haus an der Bahn, um zu erkunden. Zum
Greifen nahe sah ich die Engländerköpfe mit den flachen,
braunen Mützen hinter den Schützengräben.
Bald hätte ich Hurra geschrien; meine Ehre war gerettet!
Ich machte eine Skizze, zeichnete die englischen Gräben
ein und die Stellen, wo noch Truppen von uns in ver-
lassenen Gräben und hinter Deckung lagen. Ich sah nun
auch, woher wir am Morgen das Feuer bekommen hatten.
Linko ist der englische Graben rechtwinklig gegen uns vor-
gebogen. .
Wir mußten einfach „abgeschmiert“ werden.
Ich zeichnete auch ein, wo Tote und Verwundete
von uns lagen. Fünfundsiebzig etwa konnte man zählen.
Denn die in den Rübenfeldern und Gräben konnte ich ja
nicht sehen.