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In dem gleichen Augenblick feuerte Humanik, laut
Hurra rufend, auf den nur noch drei, Meter entfernten
Posten. Trotz des nun einsetzenden heftigen Gewehrfeuers
kehrten beide, abwechselnd laufend und kriechend, unver-
sehrt zur Kompagnie zurück. Für ihr kühnes Vorgehen und
entschlossenes Handeln wurden die beiden Kriegefreiwilligen
mit dem Eisernen Kreuze ausgezeichnet.
Lebensrettung unter schwierigsten Umständen
Am 15. November 1914, einem Sonntag nachmittag,
erhielt ich von meinem Kompagnieführer den Befehl, ihn
mit dem Vizefeldwebel Lange auf einer Dienstfahrt nach
den neuen Standquartieren der Kompagnie zu begleiten.
Es war hierzu das Automobil des Herrn Kreiochefs von
Pbilippeville mit Begleitmann und Chauffeur zur Be-
nützung gestellt worden. Schlechtes Wetter, Schneesturm
mit Regen untermischt, das besonders an jenem Tage vor-
berrschte, hatte die Fahrstraßen sehr aufgeweicht und sehwer
fahrbar gemacht, weshalb der Chauffeur des öfteren er-
mahnt wurde, recht
das Automobil aufzuheben und die darunter liegenden In-
sassen freizubekommen, waren erfolglos.
Bei der Art meiner Verletzungen konnte ich nur mit
der rechten Hand, die denn auch bald blutete, den schmutz-
gen Wagen anfassen, wobei die Hand infolge Amvendung
größerer Gewalt abrutschte. Und dann war mir ja auch
der verletzte linke Arm beim Zupacken und Helfen hin-
dernd im Wege. Die neben dem Kraftwagen im tiefen,
eisigen Schneeschlamm sich windenden, vor Schmerz stöh-
nenden Gefährten, Vizefeldwebel Lange und der Beifahrer,
konnten mir nicht helfen. Der immer beängstigender ar-
beitende Motor, die immer schwächer vernehmbaren Hilfe-
rufe meines Kompagnieführers, die unglückliche Lage
und die Zuckungen des Chauffeurs ließen mich nicht an
die eigenen, großen Schmerzen denken, vielmehr in rechter
Erkenntnio höchster Gefahren noch soviel Kraft finden,
die eigene Gesundheit und auch das Leben zur möglichen
Nettung der anderen einzusetzen.
Im Augenblick der Verzweiflung kam mir ein Gedanke!
Mit dem hinteren Teil lag die eine Verdeckseite des Kraft-
wagens auf einem
vorsichtig und ver al —
lem langsam zu fahren.
Am Höbenzuge halb-
wegs der Straße von
Matagne la Grande
nach Romerée kam
uns ein einspänniges
Bauerngefährt entge-
gen. An die rechte
Seite der Ausweich-
stelle, an welcher das
Geschirr vorüberfuhr,
schließt sich eine Bö-
schung nach aufwärts
an, linksseitig eine
ziemlich steile abwärts
auf eine Wiese. Wir
waren kaum an dem
Gespann vorüber, als
der in voller Jahrt
befindliche Kraftwagen
der abfallenden Bö-
schung zu nahe kam und, sich überschlagend, in die Tiefe
stürzte.
90 hatte im Automobil den Platz links neben meinem
Kompagnieführer eingenommen, vor mir auf dem Nücksitz
saß Vizefeldwebel Lange. Im Augenblick des Absturzes
versuchte ich mich am Sitze festzuhalten, habe jedoch, wahr-
scheinlich infolge Anschlago mit dem Kopfe, sogleich das
Bewußtsein verloren. Als ich wieder zu mir kam, stak
ich mit den Füßen im Wirrwarr des umgestürzt liegenden
Wagens. Es gelang mir zwar schnell, mich freizumachen,
aber mein linker Arm hing nach auswärts gedreht, heftig
schmerzend, haltlos herunter, er war, wie sich später heraus-
stellte, aus der Schulter gerissen und am Oberarmhals
gebrochen. Ich richtete mich mühsam auf. Das Stöhnen
der Mitfahrenden ließ mir keine Zeit, an die eigenen
gräßlichen Schmerzen zu denken. Ich erkannte bald die
ernste Gefabr für das Leben des unter dem Automobil
mit dem Gesicht nach unten gekehrt liegenden Kompagnie=
führers und des Chauffeurs. Der Offizier brachte nur
leise Hilferufe hervor. Kopf und linke Hand waren ihm
von der Wagenkante fest in den Wiesenboden gezwängt.
Der besonders bräftig gebaute Chauffeur bewegte sich nur
noch wenig. Er lag unter dem Vorder= (Motor) Teil des
Wagens eingeklemmt, und der Motor arbeitete derartig
beftig puffend weiter, daß ich entsetzt jeden Augenblick
eine Explosion erwartete. Meine verzweifelten Bemühungen,
Stellung eines sälsischen Reserveregiments bei Vecelaere
— — —— Seoldatengrabhügel,
«—." wodurch so viel hohler
Raum entstand, daß
ich noch die Möglich-
keit fand, mich krie-
chend darunter zu
zwängen. Eiligst er-
faßte ich meinen nach
außen aus der Kugel
heraus= und herum-
gedrehten, im Ober-
armkopf gesplittert,
gebrochenen linken
Arm, drehte ihn nach
innen und zwängte
ihn unter den Re-
volvergürtel. Waren
es auch gräßliche,
nicht zu beschreibende
Schmerzen, die ich da-
bei erdulden mußte,
so war doch der halt-
lor gewordene Arm festgelegt. Ich konnte mich nun
flach auf die schneeeisschlammige Wiese legen und
mit dem ganzen Körper unter das Automobil kriechen.
Der feste Wille, soldatische Pflicht zu erfüllen, zwang
mich so in Hast, daß ich Frost, Kälte des durchdringenden
Schneeschlammes, Schmerzen beim Kriechen mit nur einer
Hand und was sich sonst hindernd entgegenstellte, glatt
überwand. Unter dem Hinterwagenverdeck würgte ich mich
hoch und stemmte mit Kopf und rechter Schulter unter
letzter, übermenschlicher Kraftanwendung die ungeheure Last
zur Seite. Dies genügte meinem. Kompagnieführer, um
Kopf und linke Hand unter dem Wagen hervorzuziehen.
Er war gerettet. —
Während meines Verzweiflungswerkes kannte ich keine
Rast, da mir ja noch die Rettung des Chauffeurs als
Ziel vorschwebte. Jch würgte und mühte mich pflicht-
schuldigst weiter ab, um meinen Plan, erst hinten, dann
vorn den Wagen zur Seite zu drücken, durchzuführen. Mit
einem Ruck, — ob ich ausrutschte oder der Wagen vom
Grabenrande abrutschte, kann ich nicht bestimmt angeben
— stauchte mich die Last derart zusammen, daß ich weitere
erhebliche Verletzungen — innere Blutungen (an Lungen
uUsw.), ernste Quetschungen und Stauchungen an Kopf,
Genick, und besonders auch an einigen Nippen (ange-
brochen), erlitt — wodurch weitere Rettungsversuche un-
möglich wurden. Qualvolle, schreckliche Augenblicke mußte