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Das Gelände senkt sich, der Nebel wird auf kurze Zeit
etwas dünner und verstattet einen unsicheren Ausblick auf
eine anscheinend weite, flache Ebene. Die Schüsse, die jen-
seits hin und wieder fallen, klingen zuweilen sehr nahe.
Ein Laufgraben nimmt uns auf und führt uns in flachen
Schlangenwindungen bis zum Schützengraben. Wie
Ameisen kommen lauter lehmfarbige Gesellen aus ihren
Erdlöchern, um die seltenen Gäste zu begrüßen. Man
schüttelt sich die Hände, man tauscht ein paar fröbliche
Worte und betrachtet sich dabei doch gegenseitig wie Wun-
dertiere aus verschiedenen Welten. Sie uns, die wir ihnen
von der Welt draußen, von den anderen Kampffronten,
von der Heimat, von unseren Waffentaten in Rußland
und auf See erzählen können, und wir sie, die tapferen
Männer, dic seit beinahe acht Wochen hier im Schützen-
graben liegen, oft Tag und Nacht im ununterbrochenen
Feuer. Da der Tag heute so still *55 und selbst die Fran-
machen können! Also warten wir's ruhig ab, bis die aus
ihren Deckungen rauskommen, dann druff, und ihnen die
Keppe blutig gehauen. Mir brauchen denen doch nich zu
kommen, die müssen uns kommen. Freilich, die Nuhe is
manchmal langweilig. Wenn mer mal so richtig an die
Engländer drandürften, ei, die sollten uns Sachsen
kennen lernen! Es wird schon noch dazu kommen,
wenn es Zeit ist. Unser Hauptmann wird'S uns schon
früh genug sagen, wenn mer druff dürfen!“
Der Ehrentag des „Eisernen Regiments“
Der 2. Dezember, der Ehrentag der Hundertsiebener von
1870/71 wird von Teilen des Regiments in Lomme gefeiert.
Zwei Züge der Kompagnie können daran teilnehmen. 11 Uhr
vormittags ist Feldgottesdienst im Park des Schlosses Rue
Sadi Carnot Nr. 29. Punkt 11 Uhr rückt die Fahnengruppe
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von Schützengräblern unterhielt, die ihre Eindrücke aus sehr
eingehenden Erfahrungen schildern bonnten, begann in großer
Nähe ein wiederholtes Geknalle. Unmittelbar darauf peitschte
es an meine Ohren, zweimal, dreimal über unsere Köpfe
hinweg, so daß mir die Soldaten empfahlen, mich hinter die
Sandsackbrustwehr in Deckung zu ducken. „'# is ja freilich
en Unsinn, daß die Gerle ihre Munition verschießen,“ sagte
mir ein Reservist, der im Zivilleben ein behäbiger Leipziger
Gemüsehändler ist. „Wenn se gar nischt anderes zu tun
haben, dann gnipsen se selbst bei dem Wetter über uns
weg. Aber gerade weil se so schlecht zielen, gennten se doch
mal eenen treffen, und wir wollen unsere Gnochen sparen,
bis es sich wieder mal lohnt.“
Die Schüsse kamen von einer französischen Patrouille,
die sich im Nebel genähert hatte, durch ein paar Schüsse aus
einem benachbarten sächsischen Schützengraben aber sehr
schnell vertrieben wurde. Bemerkenswert ist die ruhige
Auffassung, zu der das Bewußtsein der ständigen Gefahr
die Leute im Schützengraben erzieht. Ein ganz einfacher
Mann gab mir folgende zutreffende Schilderung des Kriegs-
bildes in diesem Kampfgebiete: „Wir können's ja aus-
halten. Zu essen haben wir reichlich, wir wohnen ganz
schön, gesund sind wir auch, und die Franzosen und Eng-
länder schießen so schlecht, daß sie uns doch keine Angst
zellenz Krug von Nidda, der Brigade-Kommandeur, Ge-
neralmajor Kaden, der Regimentskommandeur, Oberst
Löffler die Bataillons-Kommandeure, Major Haßler,
Hauptmann Schreiber und Hauptmann von Schön-
berg und andere Offiziere des Regiments sind zugegen.
Militär-Oberpfarrer Platz weist in einer ergreifenden Rede
auf die Bedeutung des Tages bin. Er erinnert an den Tag
vor 44 Jahren und findet Worte, die vielen Kameraden
so ans Herz gehen, daß sie sich der Tränen kaum er-
wehren können. Unaufhörlich donnern die Geschütze der
nahen Front.
Nachdem der Segen gesprochen ist, tritt Oberst Löffler
vor und hält eine kraftvolle Ansprache an das Regiment.
Er sagt unter anderem: „Der 2. Dezember ist deshalb in
der Regimentgeschichte so bedeutungsvoll geworden, weil
an diesem Tage vor 44 Jahren das Regiment unter größten
Blutopfern sich den Namen das „Eiserne“ errungen hat!“
Indem er weiterhin an die verlustreichen Kämpfe von
Vitry, la Houssoie und Rue du Bois erinnert, spricht er
die Worte: „Noch nie ist das Regiment 107 in diesem
Kriege einen Schritt zurückgewichen und mit Gottes Hilfe
werden wir auch in Zukunft keinen Schritt rückwärts
gehen!“ Die Rede schließt mit einem Hurra auf Seine
Majestät den Kaiser und Seine Majestät den König.