Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

124 
Von der Umgruppierung des deutschen West- 
hecres bis zum Ende des Jahres 1014 
Die Septembermitte bezeichnet sowohl im Westen wie 
auch im Osten einen scharf markierten Wendepunkt im 
Wesen des Krieges. 
Im Osten hatte der kühne Angriffsfeldzug des öster- 
reichisch-ungarischen Feldheeres die russische Heeresleitung 
zunächst völlig überrascht und deren eigene Angriffsabsichten 
für viele Wochen in Fesseln geschlagen. Zwar hatte das 
Ankämpfen gegen die mehr als doppelte russische Uberlegen- 
heit den tapferen Armeen des Kaisers Franz Joseph schwere 
Wunden geschlagen, Ost= und Mittelgalizien waren ver- 
loren gegangen, aber das österreichisch-ungarische Feldheer 
stand nunmehr in Westgalizien und auf den Karpathen- 
pässen fest verschanzt, noch unbesiegt, unbeugsamen Willens, 
keinen Schritt Boden weiter freizugeben, und bereit und 
fähig, nach Ausgleich des Zahlenmißverhältnisses von neuem 
zum Angriff zu schreiten. 
Weiter hatte in Ostpreußen der Generaloberst v. Hinden-= 
burg bio zum 12. September auch die zweite russische 
Einfallsarmee völlig aus dem Felde geschlagen. Sie gewann 
erst nach Wochen bei Kowno—Wilna allmählich wieder 
Halt. Der Feldherr Hindenburg hatte die volle Freiheit 
erlangt, mit seinen Hauptkräften an das österreichisch- 
ungarische Feldheer heranzurücken und im Verein mit ihm 
das russische Hauptheer anzufallen, gleichviel, ob der Russe 
über die Karpathensperre nach Ungarn oder durch Schlesien 
gegen Wien oder Verlin vorzubrechen versuchen sollte. 
So war im Osten um die Mitte des Septembers die 
Krisis zunächst überwunden, ein kurzer Stillstand trat 
ein, der UÜbergang von dem kühnen Ausfallskrieg, mit 
dem die Mittelmächte den Feldzug begonnen hatten, voll- 
zog sich zu dem Abwehrkrieg, zu dem ihre Gegner sie 
jetzt schon wegen vermeintlicher Schwäche gezwungen wähn- 
ten und den sie mit erneuter Offensive auf allen Fronten 
in die Endniederlage der Mittelmächte baldigst zu wan- 
deln strebten. 
Zunächst versuchten die Westmächte den Erfolg der 
Marneschlacht direkt auszunutzen. Allein der direkte An- 
siurm der Franzosen und Engländer gegen die Aisnefront 
wurde durch die Niederlage bei Juvinrourt kurz erledigt, 
ebenso der Versuch, von Antwerpen aus Rücken und Flanke 
der deutschen Front zu erschüttern. 
Nunmehr versuchten Franzosen und Engländer sich in 
den Raum zwischen Aisnefront und Antwerpen allmählich 
einzuschieben, um von dort aus den Keil in die deutsche 
Abwehrstellung weiterzutreiben. 
So verlegten die nächsten Wochen das Kamupfgebiet 
weiter hinauf nach dem Norden Frankreichs. Die deutsche 
Front mußte fortgesetzt nordwärts verlängert, die klaffende 
Lücke zwischen dem deutschen Belagerungskorps vor Ant- 
werpen und der deutschen ersten Armee im Aisne-Oise- 
Winkel ausgefüllt werden. Doch standen hierzu größere 
Reserven in der Heimat zunächst noch nicht zur Verfügung. 
In kühnem Entschluß wurden die deutsche sechste und 
siebente Armee von der Vogesen= und Lothringenfront 
weggezogen, wo dann schwache Kräfte dem Feinde monate- 
lang deutsche Armeen vortäuschten. 
Die siebente Armee werden wir alsbald an der Aisne 
auftreten sehen, wo sie die Lücke zwischen Laon und Neims 
schloß, durch die der Gegner die Aisnefront zu sprengen 
versuchte. Dabei werden wir das tapfere XII. Armeekorps 
in der dreitägigen Schlacht bei Juvincourt wiederfinden. 
Kurze Zeit später brach auch die deutsche sechste Armee 
nach Westen auf, um den Raum von Lille und Douai sich 
zu erkämpfen und dort den Abwehrwall zu türmen, während 
links von ihr allmählich die deutsche erste und zweite 
Armee den Naum westlich der Oise über St. Quentin 
und westwärts bis nahe an Arras in neuer Gruppierung 
der einzelnen Armeekorps besetzten. 
Bei der deutschen sechsten Armee des Kronprinzen Rupp- 
recht von Bayern werden wir das XIX. Armeekorps in 
den Kämpfen um und westlich Lille alsbald wiederfinden, 
und bei der deutschen vierten Armee des Herzogo Albrecht 
von Württemberg, welche im Oktober rechts von der 
sechsten Armee den noch unbesetzten Südwestteil Belgiens 
in Besitz nehmen sollte, werden wir das XXVII. Reserve- 
korps finden, das Neuaufgebot von Sachsens Jugend- 
nachwuchs, zu dessen frühzeitigem Einsatz die gewaltigen 
Anstrengungen zwangen, welche der Dreiverband im Voll- 
gefühl seiner Zahlenüberlegenheit und seiner vermeintlichen 
Siege im Marnebogen und in Galizien machte, um nun- 
mehr seinerseits den Siegesmarsch gegen Berlin anzu- 
treten. 
Diese folgende Zeit bis nach der Jahreswende rechnet 
für die Mittelmächte wohl zu den schwersten im ganzen 
Kriegsverlaufe. Nie hat aber die Heeresleitung kaltblütiger 
die Lage beherrscht, nie das deutsche Feldheer tapferer 
seine Schuldigkeit getan, nie das Vaterland fester seinen 
Söhnen vertraut, nie die Heimat opferwilliger gegeben 
und geduldet. — 
Der Abmarsch des XlI. Armeekorps nach der Aisne 
westlich von Reims 
Die Festsetzung des XII. A.-K. an der Aisne 
Am 13. September, 11,45 Uhr nachts, traf bei dem 
XII. Armeekorps der Befehl ein, welcher ihm eine völlig 
neue Aufgabe zuwies. Das Korps wurde aus der Mitte 
der dritten Armee heraus nach dem rechten Flügel der 
zweiten Armee gezogen. Die zweite Armee stand zu dieser 
Zeit westlich an die dritte Armee anschließend in der Linie 
Condé—Brimont—Thuizy, Front gegen Reims in hef- 
tigem Kampfe. Ihr rechter Flügel befand sich an der 
Aione bei Condé an der Suippesmündung. 
Noch in der Nacht zum 14. September wurden die 
Truppen des XII. Armeekorps aus ihren Abwehrstellungen 
abgelöst. Diese in unmittelbarer Nähe des Feindes aus- 
geführten Bewegungen waren nur bei ganz geschickter 
Ausführung möglich, ohne vom Feind erkannt zu werden. 
Angesichts eines Gegners, der energisch nachdrückte und 
Unternehmungslust besaß, wären sie schwerlich glatt durch- 
zuführen gewesen. 
Am 14. September, 6 Uhr vormittags, trat das 
XII. Armeekorps, voran die 23. Infanteriedivision, da- 
hinter die 32. Infanteriedivision, von Dontrien aus, der 
Suippes folgend, auf Bazancourt den Marsch an. Die 
Aussicht, bei der zweiten Armee wieder zum Angriff ver- 
wendet zu werden, belebte Führer und Truppe und ließ 
die neuen Ansirengungen leicht überwinden. 
Auf Weisung des Oberbefehlshabers der zweiten Armee, 
Generaloberst v. Bülow, eilten Husarenregiment 20 (3 Es- 
kadrons) und I. Abteilung Feldartillerieregiments 12 vor- 
aus, um die Armeereserve der zweiten Armee zu ver- 
stärken. - 
Die Vorhut des XII. Armeekorps (Oberst Meister, Gre- 
nadierregiment 101, Jäger 11, 1 Eskadron Husaren= 
regiment 18 und II. Abteilung Feldartillerieregiments 12) 
besetzte noch am Abend die Ubergänge über die Aisne 
und den Ardennenkanal bei Neufchätel. Das Gros belegte 
die Orte dahinter bis Bazancourt. 
Der Marsch hatte weit über 30 Kilometer betragen 
und war bei andauerndem Negenwetter ausgeführt wor- 
den. Auf die unterwegs eingetroffene Weisung der Heeres- 
leitung hin, daß das Heranziehen des XII. Armeekorps
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.