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sich darauf, das feindliche Feuer nach Möglichkeit nieder-
zuhalten.
Am Nachmittag gingen vereinzelte Trupps des Feindes
auf Pontavert zurück. Der französische Durchbruchsversuch
war erstickt. Etwa 600 Gefangene, meist vom französischen
XVIII. Armeekorps, namentlich vom Linienregiment 18, blie-
ben in der Hand der Sieger.
Schlicht stellt der Gefechtsbericht des XII. Armeekorps
als Ergebnis der Schlacht fest:
„Die Kämpfe vom 15.—18. September hatten einen
ungemein heftigen Charakter getragen. Sie hatten erhebliche
Opfer gekostet, rund 3300 Mann (d. h. ein Driltel der
Kämpferl). Nach einer außergewöhnlichen Marschleistung
war das XII. Armeekorps zurechtgekommen, um mit seinen
schwachen Verbänden — die Gesechtsstärke der Infanterie
betrug insgesamt etwa 10 300 Mann — einen starken
Gegner, der durch zahlreiche, geschickt geführte Artillerie
vorzüglich untersiützt wurde, zum Stehen zu bringen, ja
ihm Gelände abzuringen. Das Korps hatte durch die Schlacht
von Juvincourt in entscheidender Weise mitgewirkt bei
Schließung der gefährlichen Lücke, die Mitte Sextember in
der deutschen Front zwischen der ersten und zweiten Armee
entstanden war.“
So bucht sächsische Bescheidenheit den gewaktigen strate-
gischen Sch achterfo cg. In Wirklichkeit wollle die französische
Heercs eitung, wie sie sto z am 12. Sepzember anlünd #gie,
bei Erzwingung des Durchbruchs bei Juvincourt die Früchte
ihres vermeinttichen Marnesiegs, den ihr nur Schlachten-
glück — „Marnewunder“ — eingebracht hatte, durch cigene.
Kraftleisiung ernten, indem sie die deutsche Abwehrfront
durchbrach, gegen die Maas in Richtung auf Sedan vor-
stieß, die deutsche Abwehrstellung in der Champagne auf-
rollte und endlich das deutsche Einfallheer vom Boden
Frankreichs vertrieb, genau also daszelbe Ziel, das sich die
Westverbündeten 1917 wiederum vergebens und endlich im
Schlußfeldzug 1918 mit besserem Erfolge angesichto ihrer
überwältigenden Übermacht gestellt haben.
Diesen Man hat im Herbst 1914 der Sachsensieg von
Juvincourt gründlich vereitelt, allerdings mit schweren
Opfern. Man bedenke, das XII. Armeekorps war mit
20 Ooo Mann Gesamtbestand in die Marneschlacht gerückt.
Es hatte auf dem Schlachtfeld südlich der Marne zwei
Drütel seiner Of, icre und zwei Fünftel der Unteroff ziere
und Mannschaften der eingeretzten Kampfstärke verloren.
Jetzt opferte es kaum 8 Tage nach der Marneschlacht noch-
mals ein Drittel seines ganzen Menschenbestands! —
Die den Schlachttagen folgenden Wochen verliefen unter
fortgesetzten Kämpfen. Es galt zunächst die eroberte Stellung
fest auozubauen, aber gleichzeiiig eit zu gewinnen, um
die Verbände neu zu ordnen und den Truppen die unbedingt
nötige Ruhe zu geben.
Noch wurde mit neuen Angriffsplänen großen Stils auf
beiden Seiten gerechnet, und alle Vorbereitungen dafür
wurden sorgfältigst getroffen. Gleichzeitig aber wurde auch
durch Teilunternehmungen die Stellung des XII. Armee-
korps in sich noch besser ausgerundet.
Bei der geringen Gefechtsstärke der Truppen, dem
Mangel an schwerer Artillerie und der Knappheit der
Geschützmunition erschien es geboten, von zwecklosen An-
griffen abzusehen. Auch der Gegner baute seine Stellungen
in mehreren Linien aus, brachte dichte Hindernisse vor
denselben an und arbeitete zunächst tüchtig mit seiner an
Zahl und Schwere überlegenen Artillerie. Die sächsische
Artillerie dagegen half sich durch häufigen Stellungswechsel,
durch geschickte Scheinantagen und durch Vorschieben ein-
zelner Gesch ütze und beronders der Beobachter.
Eine einzigartige Bedeutung gewann unter diesen Um-
ständen die Beobachtung durch Flieger und Fesselballons.
Das klare Herbsiwetter lockte die zahlreichen feindlichen
Flieger zu immer dreisteren Besuchen, selbst unter Ver-
wendung der deutschen Fliegerabzeichen. Unsere eigene
Fliegerabteilung hatte zu wenig Flugzeuge, um dem ganz
steuern zu können. Unsere Fesselballons machten sich be-
sonders bei der Leitung des Feuers unserer schweren Artillerie
verdient. —
Bevor die weitere Tätigkeit des XII. Armeekorps in
seiner Aisnestellung geschildert wird, wollen wir das
XIX. Armeekorps bei seinem Zuge nach Lille und an die
Lys begleiten.
Das führt uns in den gewaltigen monatelangen Kampf
um die Seeküste, in das Ringen der Westheere um die
West= bzw. Nordflanke.
Man ermißt erst die volle Bedeutung des sächsischen
Waffenerfolgs bei Juvincourt, wenn man ihn als den
siegreichen Auftakt zu diesem lawinenartig nach Nordwesten
weiterrollenden Großkampf im ersten Kriegöherbst erkennt.
Der Kampf um die Seeslanke
Als das deutsche Einfallsheer am 12. September zwischen
dem Aisne—Oise-Winkel und der Maas bei Verdun Front
machte, standen die fünf Armeen des deutschen Wesiflügels
zusammengedrängt auf 170 Kilometer Breite. Zwischen
der ersten und zweiten Armee klaffte eine Lücke von mehr
als 2 Meilen zwischen Laon und Reims. Am 13. September
griff das französisch-englische Heer auf der gesamten Front
an. Gleichzeitig setzte die französische Heeresleitung die ihr
zuströmenden Neukräfte nach und nach nördlich der Oise
ein zur Umklammerung der deutschen Nordflanke. Für das
Folgende dient zur Veranschaulichung Skizze 20.
Zunächst wurde das französische XIII. Armeekorps von der
ersten Armee per Bahn herangeholt und stieß nördlich der
Oise bei Noyon vor, im Verein mit dem französischen
IV. Armeekorps östlich der Oise.
Diese Umfassungsgruppe prallte auf das preußische
IX. Reservekorps, das aus dem Raume zwischen Gent und
Antwerpen herangerufen worden war. Sie rang sich bis
zum 20. September im Naume von Noyon fest.
Nunmehr wurde eine neue französische Armeegruppe
unter dem bisherigen Oberbefehlshaber der französischen
zweiten Armee, dem General Castelnau, um Roye und
Chaulnes mit Bahn und Kraftwagen versammelt und
gegen die deutsche Nordflanke vorgeworfen. Ihren Kern
bildete das XIV. Armeekorpo (bisher erste Armee), das
IX. Armeekorps (bioher neunte Armee) und das XIX. Armee-
korps (Algier). Ihnen trat zunächst vom 22. September
ab die deutsche Heeresreiterei entgegen, während der linke
Flügel der deutschen sechsten Armee mit Aufbietung aller
Kraft herbeieilte. Es waren dies zunächst dao XXI. Mrnre-
korps und dacs I. bayrische Armeekorps. Sie erreichten
mit der Bahn durch Belgien am 24. Sepktember die Gegend
von St.-Quentin. Ihnen folgte alsbald das II. bayrische
Armeekorps und die 26. Reservedivision (XIV. Reserve-
korps). Schon vorher hatte das XVIII. Armeekorps mittelo
Fußmarsches aus dem Bereiche der bisherigen vierten
Armee die Gegend von Noye erreicht. Es verstärkte hier
den rechten Flügel der ersten Armee, welche ihr II. Armee-
korps als Stütze ihres bedrängten rechten Flügels recht-
zeitig dorthin gezogen hatte.
Wieder war der französische Umfassungsversuch ver-
eitelt, die Armee Castelnau zum Eingraben von Bray bis
Noye und Lassigny gezwungen worden, die Kampffront
lediglich um s0 Kilometer Breite gewachsen. Das Ringen
um die Flanke setzte erneut ein.
Von Amiens her wurde die neue französische zehnte
Armee unter General Mandhuy, 3 bis 10 Divisionen
stark, in die Linie Arras—Béthune vorgeworfen. Ihren
Kern bildete das französische XIXI. Armeckorps, das im