14
Heeresbewegungen der dritten Armee, der eigentlichen Sach-
senarmee, gerade am 18. August begannen, an dem Tage,
wo 44 Jahre zuvor die beiden Sachsenprinzen Albert und
Georg auf entscheidender Stelle des Schlachtfeldes ihre
Sachsen zum Sturm auf St. Privat geführt hatten.
Das sächsische Heeresaufgebot
Für die Westfront wurden von Sachsen aus bei Kriegs-
beginn aufgeboten:
das XII. Armeekorps,
da# XIX. Armeekorps,
das XII. Reservekorps,
die 8. Kavalleriedivision (unter Heranziehung einer
preußischen Brigade),
die 19. Ersatzdivision,
die beiden Landwehr-Infanteriebrigaden 45 und 47,
8 Landsiurmbataillone.
Ozu kamen für die Festungen an der Ostfront zunächst
, mehrere Ersatzbataillone
* 4 Bataillone schwere Artillerie.
Schon im ersten Kriegôomonat wurde für die Wesifront
noch das XXVII. Reservekorps neuaufgestellt. Es bestand
mehr als zur Hälfte aus sächsischen Truppenteilen, den Rest
stellten die Württemberger. Darüber hinaus wurden säch-
sische Landsturmbataillone in schnell wachsender Zahl für
das inzwischen eroberte feindliche Gebiet aufgeboten.
So ist tatsächlich von Sachsen fast von Kriegsbeginn an
eine Heeresmacht von annähernd s Armeekorps aufgebracht
worden. Denn aus den sächsischen Truppen des XXVII. Re-
servekorps und der 19. Ersatzdivision hätte sich ein sächsisches
2. Reservekorps und aus den 7 Landwehr-Infanterieregi-
mentern und dem alsbald formierten Ersatz-Infanterie=
regiment s ein sächsisches Landwehrkorps ohne weiteres
bilden lassen. Sogar die sächsische Feldartillerie hätte bei
zeitgemäßer Gliederung in Batterien zu 4 Geschützen, ebenso
die aschwere Artillerie für s Armcekorps ausgereicht.
In diesem Kriege, der sich alsbald zu einem Weltringen
auf organisatorischem Gebiete ausgestaltete, fesselt der Aus-
bau der Heeresmacht neben den kriegerischen Menschen-
leistungen das Interesse des Geschichtsforschers.
Leider ist von der deutschen Volksvertretung und der
Reichsleitung in der Vorkriegszeit nicht alles, was möglich
war, geschehen, um dem deutschen Kriegsheer von vorn-
berein die Uberlegenheit zu sichern. Trotz der allgemeinen
Wehrpflicht war kaum die Hälfte des verfügbaren Men-
schemmaterials für den drohenden Weltkrieg zur Ausbildung
herangezogen worden. Das Feldartilleriematerial war nicht
mehr zeitgemäß, die Munitionsvorsorge ganz unzulänglich.
Auch in der Kriegsgliederung der planmäßigen Truppen-
verbände fehlte der große Zug. Die Schuld hierfür trifft
nächst dem Reichskanzler und der Volksvertretung ins-
besondere die oberste preußische Heeresverwaltung, wel-
cher im alten deutschen Kaiserreich die Kriegsovorbereitung
fast ausschließlich zufiel. Das sächsische Kriegoministerium
mußte sich in der Hauptsache darauf beschränken, auszu-
fübren, was von Berlin her angeordnet wurde. Es ist
schmerzlich, daß es der sächsischen Heeresverwaltung auch
während des Krieges nicht gelungen ist, den gebührenden
Einfluß auf den verschiedenen Gebieten des Heerwesens,
inobesondere einen entsprechenden Anteil an der Heeres-
leitung sowie bei. der Führung der Aemecgruppen und
körper auf den einzelnen Kregsschauplägzen für die tüchtgge
sächsische Armee zu sichern.
Am Schlusse des Kriegs standen nach Auflösung der
sächsischen Kavalleriedioision und einer Division zu be-
sonderer Verwendung 18 sächsische Infanteriedioisionen im
Felde. Aber nur vier Generalkommandos und zwei Armee-
Oberkommandos, letztere auch nur ganz vorübergehend,
waren mit Sachsen besetzt. An der Spitze oder auch nur
an maßgebender Stelle der Heeresleitungen auf den zahl-
reichen Kriegsschauplätzen sowie der Verwaltung der riesen=
haften besetzten Gebiete befand sich kaum ein Sachse. Dabei
waren die Sachsen aller Dienstgrade und Waffen wegen
ihrer Begabung, Rührigkeit, praktischen Erfahrung auf
allen Gebieten des Wirtschaftslebens und ihres Anpassungs=
vermögens in allen Kriegsgebieten eine geradezu unentbehr-
liche Stütze der deutschen Kriegsleitung. Die von geborenen
Sachsen geschaffenen und geleiteten wirtschaftlichen Kriegs-
schöpfungen wurden allseits als mustergültig anerkannt.
Das Geschick der Sachsen im Verkehr mit den verschiedenst
gearteten Bevölkerungen der verbündeten und feindlicher
Länder trat glänzend hervor gegenüber der brüsken, ver-
letzenden Art, die mit Unrecht allen Deutschen von den
anderen Völkern zum Vorwurf gemacht wird. Um so be-
trübender ist das Ergebnis des Wirkens der sächsischen Hee-
resverwaltung während des vierjährigen Kriegszustandes
für die Angehörigen der sächsischen Armee gegenüber der
preußischen Vorherrschaft im Kriegswesen, die, je länger
der Krieg dauerte, um so herrischer und selbstsüchtiger auf-
trat. Nur den Bayern gewährte die preußische Kriegs-
leitung den gebührenden Anteil, weil das bayrische Königs-
haus und Bayerns Heeresverwaltung von Kriegsbeginn
an sehr energisch ihren Anspruch zur Geltung zu bringen
verstanden.
Die Einzelleistungen der sächsischen Truppenteile sind so
groß und so zuverlässig in allen Kriegolagen gewesen, daß
es zu bedauern ist, daß mit Ausnahme der ersten sechs
Feldzugwochen eine sächsische Armee als solche nicht in
die Erscheinung getreten ist. Das erschwert naturgemäß
auch die geschichtliche Darstellung. Nur der Marnefeldzug
bileet eine abgeschlossene Kriegshandlung einer sächsischen
Armee.
Der Weltkrieg hat sich inzwischen selbst seine gewaltige
Geschichte geschrieben. Das Andenken der für ihr Vater-
land gefallenen und der aus Kampf und Sieg in die trosi-
losen Verhältnisse des Heimatlandes zurückgekehrten Hel-
den heischt die ungeschminkte Darstellung der Wahrheit.
Das Bestreben, das mich bei der fachmännischen Erstdar-
stellung der sächsischen Taten im Weltkrieg leitet, gipfelt
in der Zusammenstellung der aktenmäßigen Unterlagen,
welche den Leser instandsetzen, sich selbst ein Urteil zu bilden.
Ich hoffe, daß ich den Männern, welche die Geschichte
gemacht haben, mit meiner Arbeit die Anregung gebe, aus
eigenem das von mir erschlossene Aktemmaterial zu ergänzen.
Insbesondere hoffe ich für den zweiten Teil meiner Ge-
schichte des Weltkriegs, der die Kriegsjahre 1916 bis 1918
behandeln soll, auf die Mitarbeit der Führer der einzelnen
sächsischen Divisionen, die in dieser Zeit die eigentlichen
Träger der sächsischen Kriegsgeschichte gewesen sind. Nur
durch Zusammenarbeiten aller Kriegskameraden aus
Deutschlands größter Zeit können die Grundlagen einer
wahren Geschichte des Kriegs geschaffen werden.
Die Kriegslage auf dem westlichen Kriegsschauplatz
bei Beginn der Heeresbewegung
(Skizzen 1 und 2)
Der zunächst peinlichst geheimgehaltene K Kriegsplan der
deutschen Obersten Heeresleitung sah die sofortige Offensive
der deutsehen Hauptkräfte gegen die Westgegner vor, um
diese zu vernichten, ehe Rußland mit seiner Überzahl an
Streitern — 6½ Millionen auogebildete Soldaten — wirk-
sam werden konnte.
Auf die volle russische Kriegsbereitschaft hatten die Mittel-
mächte erst etwa zwei Monate später gerechnet.