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der bürgerlichen Wehrkraft gezeigt. Ein Gebiet mag zum
Beweis hervorgehoben werden: das der technischen Hilfs-
mittel, die eine ungeheure Rolle gespielt haben. Es war
nicht zum wenigsten ein Kampf mit Eisenbahnen, Brücken,
Straßen, Schiffen, Luftfahrzeugen usw. Dazu brauchte die
Heereoleitung Leute, die diese Dinge anzufassen verstanden
oder doch ihre Handhabung bald begriffen. So wurde der
gesamte Kulturstand der Deutschen ein wichtiger Teil ihrer
Wehrtüchtigkeit. Unter ihnen gilt das sächsische Volk im
allgemeinen als klug und anstellig, seine Volksschule gehört
zu den besten in Deutschland, die wiederum die Volksschulen
aller Staaten, vielleicht mit einziger Ausnahme der Schweiz
übertreffen, die Durchschnittsbildung der Masse steht auf hoher
Stufe. So kann man wohl behaupten, daß der Heeresdienst
in Sachsen eine gute geistige Grundlage vorfindet.
Neben dem Stand der geisiigen Entwicklung ist die körper-
liche Veranlagung und Ausbildung, die ein Volk zum
Herresdienst mitbringt, ein wichtiger Teil der bürgerlichen
ehrkraft. Darum hat man verlangt, daß die Auobildung
des Vaterlandsverteidigers nicht erst mit der Rekrutenzeit
beginne, sondern daß schon vorher, ja schon von früher
Jugend auf die künftige Heerespflicht ins Auge gefaßt
werde. Diese Forderung hat in der Großen Zeit des Welt-
kriegs in ganz Deutschland stärkere Erfüllung erfahren als
je vorher, und unser Sachsenland hat sich dabei in ganz
besonderer Weise ausgezeichnet, wie wir in späteren Ab-
schnitten hören werden.
Die zwei Arten der Wehrvorbereitung
Die erwähnte Forderung, daß die Jugend für den
Heeresdienst vorbereitet werden müsse, ist schon vor ge-
raumer Zgeit in Deutschland und bei fast allen Kultur-
völkern Europas erhoben worden. Uberblickt man, was in
dieser Frage getan worden ist, so finden sich zwei verschiedene
Arten der Wehrvorbereitung, die zum Verständnis der wei-
teren Darlegungen verglichen werden müssen.
Jede Leibesübung, die den Körper kräftig und gewandt
macht, Mut, Ausdauer und Entschlossenheit erhöht, dient
auch der Wehrkraft, ist also eine Wehrübung, auch wenn
sie nicht an den Exerzierplatz und Kasernenhof erinnert.
Solche Ubungen sind das Turnen, wie es in Schule und
Verein betrieben wird, ferner die Übungen, die man leider
immer noch mit dem greuligen Namen „Leichtathletik“ be-
zeichnet, dann Schwimmen, Wandern u. a., also Ubungen, die
jeder betreiben muß, der ein kräftiger, gesunder Mann wer-
den will. Die Stärkung der Wehrfähigkeit durch solche
Übungen nennt man die allgemseine Wehrübung oder
auch die turnerische, weil sie seither von den Turnern
am ausgiebigsten gepflegt worden ist.
Viele hielten sie aber als Vorbereitung für den Waffen-
dienst für ungenügend. Man verlangte, daß schon allerlei
militärische Aufgaben dabei gelöst werden müßten, daß es
eine Art Vorkursus für den Heeresdienst sein sollte. Teile des
Exerzierreglements und der Felddienstordnung sollten schon
bearbeitet werden. Das führte auf die militarisierende
Wehrübung. Die Jungmannen bildeten Jugendkompag=
nien, die ganz oder teilweise uniformiert waren — und wäre
es eine gleiche Kopfbedeckung — und damit schon an das
Militär erinnerten. Die Kompagnieschule wurde durchgenom-
men von der Ehrenerweisung ohne und mit Gewehr bis zu
großen Gefechtsübungen, oft in Verbindung mit der Truppe,
und bis zum Parademarsch als Krönung des Ganzen.
Die beiden Arten der Wehrübung, die allgemeine und die
militarisierende, sind aber nicht so klar voneinander geschie-
den, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Es gibt
so viele Ubergänge von der einen zur andern. Deshalb muß
man sich über den inneren, tieferen Unterschied der beiden
Wehrübungsarten klar werden. Man findet ihn, wenn man
die Wehrübung betrachtet in bezug auf die militäri-
schen Zwecke und auf die militärische Form.
Einige Beispiele mögen die Sache erläutern. Der Rekrut
muß geistige Gewecktheit, schnelle Auffassung, gutes Auge
und feines Gehör erwerben, oder — besser noch — schon
mitbringen. Sie sind nötig für den Wachtposten, für den
Patrouillengang usw. Die Ausbildung dieser Eigenschaften
verfolgt also einen „militärischen Zweck“.
Nebenbei sei bemerkt, daß über die Wehrübung und ihre
rechte Art in den Kriegsjahren viel geredet und geschrieben
worden ist in ganz Deutschland. Da war es ein Sachse,
Oberstleutnant v. Heygendorff, der durch die Veränderung
eines einzigen Ausdrucks Klarheit brachte. Er setzte —
meines Wissens als erster — für den undurchsichtigen
Begriff „militärische Zwecke“ den inhaltreichen Ausdruck
„militärische Werte“.
Eine Erziehung, die geistige Gewecktheit und schnelle Auf-
fassung erarbeitet, die da# Auge schärft und das Gehör
verfeinert, schafft militärische Werte. Es ist klar, daß die
rechte Wehrübung solche militärische Werte schaffen muß.
Geschieht das nicht, so müht sich die Dienstzeit meist ver-
geblich damit. Einerseits ist bei ihrer Kürze kein Raum da-
für, anderseits ist es vielfach schon zu spät. Solche Dinge
und viele andere müssen von Jugend auf getrieben werden,
wenn sie zu einem wirblichen Erfolg führen sollen.
Betrachten wir aber diese militärischen Werte genauer,
so bemerken wir, daß es auch rein menschliche Werte sind.
Schnelle Auffassung, Gewecktheit, gutes Auge und feines
Gehör kommen jedem zugute, der sie besitzt, auch dann,
wenn er niemals Soldat wird. Sinn für Ordnung, Pünkt-
lichkeit, Sauberkeit, die Fähigkeit gut zu beobachten, knapp
zu berichten, die häufig ald spezifisch militärische Tugenden
bezeichnet werden, stellen sich ebenso sehr als bürgerliche
Tugenden und Fähigkeiten dar, die keine Erziehung ver-
gessen darf. Allgemein menschliche und militärische Werte
unterscheiden sich überhaupt nicht. „Der Krieg verlangt
von der Jugend nichts, was nicht an sich schon um ihrer
allgemeinen Ausbildung willen erstrebt werden muß“,
nichts, was nur dem Soldaten und nicht auch dem Men-
schen, dem Bürger, besonders im Falle der Gefahr von
Nutzen sein kann. Zeigt doch der Ausdruck: „Kampf ums
Dasein“ die Ahnlichkeit des Lebens mit dem Kriege. In
bezug auf ihre Zwecke unterscheiden sich allgemeine und
militarisierende Wehrübung nicht.
Wohl aber in bezug auf die Formen. Die militärische
Ehrenerweisung ist z. B. eine militärische Form, für die
das bürgerliche Leben keine Verwendung hat. Wie die
Wache antritt, aufmarschiert, wie sie anrufen muß, wenn
sie schießen darf, und wie sie abgelöst wird, alles das sind
militärische Formen, deren Erlernung demjenigen keinerlei
Nutzen bringt, der nicht Soldat wird.
Hier unterscheiden sich die beiden Arten der Wehrvor-
bereitung. Die militarisierende fordert auch die Erlernung
der militärischen Formen und verwendet sie bereits in
ihrem Betrieb. Sie übt z. B. die militärische Ehrenerwei-
sung, sie gliedert schon die jugendlichen Vorgesetzten nach der
militärischen Rangordnung, sie verwendet Uniformierung
und Nangahzeichen, sie stellt beim Lager Wachen aus usw.
Von all dem will die allgemeine Wehrübung nichts
wissen und stützt sich dabei auf folgende Gründe. Sie glaubt
die beschränkte geit, die ihr zur Verfügung steht, besser auf
die militärischen Werte als auf die militärische Form zu
verwenden, zumal letztere vom Soldaten rasch erlernt wird.
Dazu kommt, daß diese Erlernung militärisch straff und
genau erfolgen muß, und dafür hat die Wehrvorbereitung
keine rechten Mittel, da ihr die Machtmittel der militärischen
Disziplin fehlen. Militärische Formen unmilitärisch, sei
es nun schlaff oder übertrieben, angewendet, erscheinen aber
wie Zerrbild.