Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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der bürgerlichen Wehrkraft gezeigt. Ein Gebiet mag zum 
Beweis hervorgehoben werden: das der technischen Hilfs- 
mittel, die eine ungeheure Rolle gespielt haben. Es war 
nicht zum wenigsten ein Kampf mit Eisenbahnen, Brücken, 
Straßen, Schiffen, Luftfahrzeugen usw. Dazu brauchte die 
Heereoleitung Leute, die diese Dinge anzufassen verstanden 
oder doch ihre Handhabung bald begriffen. So wurde der 
gesamte Kulturstand der Deutschen ein wichtiger Teil ihrer 
Wehrtüchtigkeit. Unter ihnen gilt das sächsische Volk im 
allgemeinen als klug und anstellig, seine Volksschule gehört 
zu den besten in Deutschland, die wiederum die Volksschulen 
aller Staaten, vielleicht mit einziger Ausnahme der Schweiz 
übertreffen, die Durchschnittsbildung der Masse steht auf hoher 
Stufe. So kann man wohl behaupten, daß der Heeresdienst 
in Sachsen eine gute geistige Grundlage vorfindet. 
Neben dem Stand der geisiigen Entwicklung ist die körper- 
liche Veranlagung und Ausbildung, die ein Volk zum 
Herresdienst mitbringt, ein wichtiger Teil der bürgerlichen 
ehrkraft. Darum hat man verlangt, daß die Auobildung 
des Vaterlandsverteidigers nicht erst mit der Rekrutenzeit 
beginne, sondern daß schon vorher, ja schon von früher 
Jugend auf die künftige Heerespflicht ins Auge gefaßt 
werde. Diese Forderung hat in der Großen Zeit des Welt- 
kriegs in ganz Deutschland stärkere Erfüllung erfahren als 
je vorher, und unser Sachsenland hat sich dabei in ganz 
besonderer Weise ausgezeichnet, wie wir in späteren Ab- 
schnitten hören werden. 
Die zwei Arten der Wehrvorbereitung 
Die erwähnte Forderung, daß die Jugend für den 
Heeresdienst vorbereitet werden müsse, ist schon vor ge- 
raumer Zgeit in Deutschland und bei fast allen Kultur- 
völkern Europas erhoben worden. Uberblickt man, was in 
dieser Frage getan worden ist, so finden sich zwei verschiedene 
Arten der Wehrvorbereitung, die zum Verständnis der wei- 
teren Darlegungen verglichen werden müssen. 
Jede Leibesübung, die den Körper kräftig und gewandt 
macht, Mut, Ausdauer und Entschlossenheit erhöht, dient 
auch der Wehrkraft, ist also eine Wehrübung, auch wenn 
sie nicht an den Exerzierplatz und Kasernenhof erinnert. 
Solche Ubungen sind das Turnen, wie es in Schule und 
Verein betrieben wird, ferner die Übungen, die man leider 
immer noch mit dem greuligen Namen „Leichtathletik“ be- 
zeichnet, dann Schwimmen, Wandern u. a., also Ubungen, die 
jeder betreiben muß, der ein kräftiger, gesunder Mann wer- 
den will. Die Stärkung der Wehrfähigkeit durch solche 
Übungen nennt man die allgemseine Wehrübung oder 
auch die turnerische, weil sie seither von den Turnern 
am ausgiebigsten gepflegt worden ist. 
Viele hielten sie aber als Vorbereitung für den Waffen- 
dienst für ungenügend. Man verlangte, daß schon allerlei 
militärische Aufgaben dabei gelöst werden müßten, daß es 
eine Art Vorkursus für den Heeresdienst sein sollte. Teile des 
Exerzierreglements und der Felddienstordnung sollten schon 
bearbeitet werden. Das führte auf die militarisierende 
Wehrübung. Die Jungmannen bildeten Jugendkompag= 
nien, die ganz oder teilweise uniformiert waren — und wäre 
es eine gleiche Kopfbedeckung — und damit schon an das 
Militär erinnerten. Die Kompagnieschule wurde durchgenom- 
men von der Ehrenerweisung ohne und mit Gewehr bis zu 
großen Gefechtsübungen, oft in Verbindung mit der Truppe, 
und bis zum Parademarsch als Krönung des Ganzen. 
Die beiden Arten der Wehrübung, die allgemeine und die 
militarisierende, sind aber nicht so klar voneinander geschie- 
den, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Es gibt 
so viele Ubergänge von der einen zur andern. Deshalb muß 
man sich über den inneren, tieferen Unterschied der beiden 
Wehrübungsarten klar werden. Man findet ihn, wenn man 
  
die Wehrübung betrachtet in bezug auf die militäri- 
schen Zwecke und auf die militärische Form. 
Einige Beispiele mögen die Sache erläutern. Der Rekrut 
muß geistige Gewecktheit, schnelle Auffassung, gutes Auge 
und feines Gehör erwerben, oder — besser noch — schon 
mitbringen. Sie sind nötig für den Wachtposten, für den 
Patrouillengang usw. Die Ausbildung dieser Eigenschaften 
verfolgt also einen „militärischen Zweck“. 
Nebenbei sei bemerkt, daß über die Wehrübung und ihre 
rechte Art in den Kriegsjahren viel geredet und geschrieben 
worden ist in ganz Deutschland. Da war es ein Sachse, 
Oberstleutnant v. Heygendorff, der durch die Veränderung 
eines einzigen Ausdrucks Klarheit brachte. Er setzte — 
meines Wissens als erster — für den undurchsichtigen 
Begriff „militärische Zwecke“ den inhaltreichen Ausdruck 
„militärische Werte“. 
Eine Erziehung, die geistige Gewecktheit und schnelle Auf- 
fassung erarbeitet, die da# Auge schärft und das Gehör 
verfeinert, schafft militärische Werte. Es ist klar, daß die 
rechte Wehrübung solche militärische Werte schaffen muß. 
Geschieht das nicht, so müht sich die Dienstzeit meist ver- 
geblich damit. Einerseits ist bei ihrer Kürze kein Raum da- 
für, anderseits ist es vielfach schon zu spät. Solche Dinge 
und viele andere müssen von Jugend auf getrieben werden, 
wenn sie zu einem wirblichen Erfolg führen sollen. 
Betrachten wir aber diese militärischen Werte genauer, 
so bemerken wir, daß es auch rein menschliche Werte sind. 
Schnelle Auffassung, Gewecktheit, gutes Auge und feines 
Gehör kommen jedem zugute, der sie besitzt, auch dann, 
wenn er niemals Soldat wird. Sinn für Ordnung, Pünkt- 
lichkeit, Sauberkeit, die Fähigkeit gut zu beobachten, knapp 
zu berichten, die häufig ald spezifisch militärische Tugenden 
bezeichnet werden, stellen sich ebenso sehr als bürgerliche 
Tugenden und Fähigkeiten dar, die keine Erziehung ver- 
gessen darf. Allgemein menschliche und militärische Werte 
unterscheiden sich überhaupt nicht. „Der Krieg verlangt 
von der Jugend nichts, was nicht an sich schon um ihrer 
allgemeinen Ausbildung willen erstrebt werden muß“, 
nichts, was nur dem Soldaten und nicht auch dem Men- 
schen, dem Bürger, besonders im Falle der Gefahr von 
Nutzen sein kann. Zeigt doch der Ausdruck: „Kampf ums 
Dasein“ die Ahnlichkeit des Lebens mit dem Kriege. In 
bezug auf ihre Zwecke unterscheiden sich allgemeine und 
militarisierende Wehrübung nicht. 
Wohl aber in bezug auf die Formen. Die militärische 
Ehrenerweisung ist z. B. eine militärische Form, für die 
das bürgerliche Leben keine Verwendung hat. Wie die 
Wache antritt, aufmarschiert, wie sie anrufen muß, wenn 
sie schießen darf, und wie sie abgelöst wird, alles das sind 
militärische Formen, deren Erlernung demjenigen keinerlei 
Nutzen bringt, der nicht Soldat wird. 
Hier unterscheiden sich die beiden Arten der Wehrvor- 
bereitung. Die militarisierende fordert auch die Erlernung 
der militärischen Formen und verwendet sie bereits in 
ihrem Betrieb. Sie übt z. B. die militärische Ehrenerwei- 
sung, sie gliedert schon die jugendlichen Vorgesetzten nach der 
militärischen Rangordnung, sie verwendet Uniformierung 
und Nangahzeichen, sie stellt beim Lager Wachen aus usw. 
Von all dem will die allgemeine Wehrübung nichts 
wissen und stützt sich dabei auf folgende Gründe. Sie glaubt 
die beschränkte geit, die ihr zur Verfügung steht, besser auf 
die militärischen Werte als auf die militärische Form zu 
verwenden, zumal letztere vom Soldaten rasch erlernt wird. 
Dazu kommt, daß diese Erlernung militärisch straff und 
genau erfolgen muß, und dafür hat die Wehrvorbereitung 
keine rechten Mittel, da ihr die Machtmittel der militärischen 
Disziplin fehlen. Militärische Formen unmilitärisch, sei 
es nun schlaff oder übertrieben, angewendet, erscheinen aber 
wie Zerrbild.
	        
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