ob sich der Rekrut für den Dienst vorbereitet hatte oder
nicht. Die ersie Brücke zwischen bürgerlicher und mili-
tärischer Wehrkraft war geschlagen.
Man ging weiter. Der genannte Ausweis sollte den Re-
kruten berechtigen, seinen Wunsch auf Einstellung in einen
bestimmten Truppenteil anzubringen. Damit war auf die
Vorbereitung für den Waffendienst die erste allgemeine
Vergünstigung ausgesprochen. Diese Dinge sind für die
Zukunft wichtig. Man wird sich entscheiden müssen, ob
man die Wehrübung auf eine Reihe von Vergünstigungen,
wie seither in Frankreich, gründen will oder auf den Zwang
zur Teilnahme. Die angewandten Mittel versagten zunächst
wohl infolge ihrer geringwertigen Vergünstigungen. Nun
wurde der Jugendwehrzwang lebhaft besprochen. Nahezu
alle, die zu Worte gekommen sind, glauben, daß nur durch
ihn eine wirksame Einrichtung geschaffen werden kann.
Freilich haben Landwirtschaft und Industrie, die ein be-
trächtliches Zeitopfer werden bringen müssen, zum größten
Teil noch auggeschwiegen.
Auch bezüglich ihres Stoffes machte die Wehrübung eine
Entwicklung durch. Obgleich die Negierungserlässe gewarnt
hatten, Teile des militärischen Dienstes vorweg zu nehmen,
setzte doch zunächst die Wehrvorbereitung mit militärischem
Einschlag kräftig ein. Neue Vereine für Dienstvorbereitung
entstanden, Jugendkompanien wurden gegründet. Manche
gingen entgegen den Bestimmungen zur Ubung mit der
Waffe über. Nachtübungen, Manöver, oft in Verbindung
mit Truppenteilen, wurden unternommen. Zahlreiche ver-
abschiedete und aktive Militärpersonen nahmen sich der
Sache verdienstvoll an, übertrugen aber einfach den Militär-
dienst auf die Jugend.
Gleichzeitig erhoben sich mancherlei Klagen und Be-
schwerden. Uberanstrengungen wurden festgestellt. Schule
und Jugendpflege sahen ibre Interessen geschädigt, be-
stehende Vereine in ihrem Bestande gefährdet. Gegen die
Sonntagoübung wurde Einspruch erhoben.
Da änderte Preußeen seine Richtlinien durch die bereits
dargelegten „Ergänzungen und Erläuterungen“ und siellte
die Wehrübung von der militärischen auf die allgemeine
Grundlage. Fortbildungsschule und Vercine, besonders die
Turnvereine, traten als Träger der Wehrübung in den
Vordergrund. Belehrungskurse im Sinne der allgemeinen
Auobildung wurden gehalten. In Sachsen machte diese
ganze Entwicklung entschiedenere Fortschritte als in
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gang der Einrichtung zu beklagen, der mit den fortschrei-
tenden Kriegsnöten eintreten mußte. Zuerst machten sich
die Ernährungsschwierigkeiten geltend. Die jungen Leute
konnten nicht Brot genug mitnehmen. Die anfängliche
Aushilfe durch Suppe, Gemüse und Kartoffeln versagte,
als die Aluminiumapparate von der Regierung eingezogen
wurden, als kein Spiritus mehr zu erhalten war und
Holz zu teuer wurde. So mußte die Dauer der Märsche
und Ubungen eingeschränkt werden. Sie durften nach Ver-
ordnung des Ministeriums nicht mehr über Mittag aus-
gedehnt werden.
Dann kamen die Ausrüstungsschwierigkeiten. Es wurde
schwer und zuletzt unmöglich, die nötige Kleidung zu be-
schaffen. Eine Anzahl Jungmannen selbst aus den höheren
Schulen mußten wegbleiben, weil sie kein dauerhaftes
Schuhwerk mehr hatten.
Im Winter 1917/18 konnten wegen Mangel an Hei-
zungsmaterial die Turnhallen nicht mehr geheizt werden,
und so mußte auch hier der Betrieb eingeschränkt werden,
während er z. B. im Kino und Theater weiterging.
Endlich ist nicht zu verschweigen, daß viele Jungmannen
und deren Eltern diese Schwierigkeiten zum Vorwand nah-
men. War doch von einigen Arzten die Mahnung ergangen,
sich bei der knappen Ernährung jeder Anstrengung zu ent-
halten. Man glaubte ihnen, und nur wenige stellten aus
eigener Erfahrung fest, daß gerade bei der vorwiegend vege-
tabilen Nahrung tüchtige körperliche Ausarbeitung im
Freien nötig ist, wenn sie anschlagen und nicht ungenüützt
den Körper verlassen soll. Während. früher die Eltern frei-
willig erklärt hatten, daß ihre Söhne bei dem längeren
Aufenthalt im Freien „ordentlich aufblühten“, war man
jetzt ängsilich geworden, und jeder Schnupfen wurde den
Wehrübungen in die Schuhe geschoben. Die Ubungen hatten
für die Jungmannen den Reiz der Neuheit verloren, und
da die Unternehmungen nicht immer lustig und unterhalt-
sam sein konnten, wenn wirklich etwas gelernt werden
sollte, so schwand mehr und mehr die Lust daran.
Haben wir biseher die Entwicklung im allgemeinen dar-
gestellt, so setzen uns freundliche Mitteilungen auo mehreren
Städten in den Stand, im einzelnen zu berichten. Für diese
Mitteilungen wie für die eingesandten Bilder sagen wir
verbindlichen Dank. Sie setzen uns in den Stand, Wehr=
Preußen, da sie ja eigentlich schon im grundlegen-
den Ministerialerlaß vorgesehen war. Mit größter
Deutlichkeit wird das im letzten Erlaß des Kultus-
ministeriums vom 27. Mal 1918 wiederholt.
In der Richtung dieser allgemeinen Ausbildung
des Jungmanns lagen auch die Wettkämpfe im
Wehrturnen, die 1916 eingerichtet wurden. Wir
besprechen sie an anderer Stelle.
Die Ergebnisse der ersten zweijährigen Wehr-
vorbereitung waren günstig. Das besilätigte eine
Verordnung des sächsischen Kriegoministers: „Die
Errichtung der Jugendwehr hat sich bewährt.
Jungmannen und Truppenführer haben von der
Front her in Zuschriften freudig Zeugnis davon
abgelegt.“ Im Reichstage wurde von militärischer
Seite erklärt, daß die zuletzt eingezogenen Jahr-
gänge der Nekruten alle Anstrengungen gut
überstanden hätten, und daß dies jedenfalls die
Folgen der Jugendpflegebestrebungen auf körper-
lichem Gebiete seien. „Diese Pflege mit all ihren
Zweigen hat sehr günstig gewirkt, und bei nicht herab-
geminderten Ansprüchen an die Kriegoverwendungofähig-
keit ist der Prozentsatz der Tauglichen erheblich höher als
bei älteren Jahrgängen.“
Bei solcher Wirkung der Wehrvorbereitung ist der Rück-
Zwickauer Jugendwehr (Sanitätsdienst)
übungen und andere Leibesübungen aus den verschiedensten
Gegenden Sachsens vor Augen zu führen. «
In Zwickau wurde im Herbst 1914 durch Schuldirektor
Hellinger eine Jugendwehr von 30 Mann ins Leben ge-
rufen. Als im Sommer 1915 alle militärischen Leiter ins