Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

Neue Berufe und Lehrwerkstätten für 
Kriegsbeschädigte 
Das beste Mitleid einem Kriegsbeschädigten gegenüber 
ist — keines zu zeigen! Wohl sollen wir den am Leibe 
geschädigten Kriegern, wann und wo sie uns auch ent- 
gegentreten, in verstärktem Maße die Rücksicht zuteil wer- 
den lassen, die auszuüben das Kennzeichen wahrhaft Ge- 
bildeter ist. Und wenn es gilt, die Not zu lindern, soll die 
Rechte nicht erst fragen, was die Linke tut. Nie aber darf 
der Gedanke aufkommen, daß Kriegsbeschädigte eine be- 
sondere Klasse von Menschen seien, die, nun einmal vor- 
handen, mit einem eigenen Maßstabe zu messen, im übri- 
gen aber nicht mit ihren Mitbürgern zu vergleichen sinb. 
Von diesen Er- 
wägungeniistaus- 
zugchen, wenncs 
sich darum han- 
delt, die wirschaft- 
liche Stellung der 
Kriegsbeschädig- 
ten zusichern, d.h. 
sie ins bürger- 
liche Leben zu- 
rückzuführen. 
Der Fürsorge 
für die Kriegs- 
beschädigten 
oder, wie man 
früher sagte, der 
Invaliden, ist zu 
allen Zeiten Auf- 
merksamkcit ge- 
schenkt worden, 
wenn auch in 
ganz verschicdc- 
ner Art und dem- 
entsprechenden 
Erfolg. Wir mis- 
sen, daß das Altr- 
tum die invaliden 
Krieger nicht bloß 
ehrte, sondern 
auch dafür besorgt war, ihr Auskommen zu sichern. Wir 
erfahren ferner von der Fürsorge einzelner Fürsten des 
Mittelalters für ihre verstümmelten Helden, soweit es 
sich nicht um hergelaufene Söldner handelte. Und je weiter 
wir undg unserm Jahrhundert nähern, desto großzügiger 
und geregelter tritt uns die tatkräftige Anteilnahme für 
die Kriegobeschädigten entgegen. Aber immer läuft diese 
Fürsorge auf eine „Versorgung“ im landläufigen Sinne 
des Wortes hinaus, auf eine Ausschaltung der ehemaligen 
Krieger aus dem bürgerlichen Leben. Daran ändern auch 
die „Loldenen Käfige“ nichts, mit denen man die oft 
mit allen erdenklichen Bequemlichkeiten ausgestatteten In- 
validenheime vergleichen kann. Ja, man kann demgegen- 
über wohl sagen, daß der Leierkasten üblen Andenkens 
doch so manche Vorzüge hatte. 
Allgemein ging man, genau so wie heute, von der 
unbestritten richtigen Voraussetzung aus, daß der durch 
den Krieg an seinem Leibe Geschädigte Anspruch auf eine 
Sicherstellung seines Auskommens habe, da er meist nicht 
mehr in der Lage sei, sich und die Seinen ohne fremde 
Hilfe genügend zu unterhalten. Aber der in der Ver- 
folgung dieser Gedanken eingeschlagene Weg kann nach 
  
Linkshänder am Parlograph 
(Elnarmigenschule in Dresden) 
unseren heutigen Erfahrungen nicht als der richtige aner- 
kannt werden. Angenommen, daß die Invalidenfürsorge 
wirtschaftlich genügte, sei es durch Gewährung einer Rente, 
eines Vorrechtes oder Unterbringung in einer Anstalt, so 
beging man doch zumeist den Fehler, die Kriegobeschädig- 
ten der wirtschaftlichen Arbeit zu entziehen und sie zu 
einem tatenlosen Leben zu verurteilen. 
Nun sind zwar zweifellos stets Fälle zu verzeichnen ge- 
wesen, bei denen die in Frage Kommenden völlig hilflos 
und zu keiner Arbeit mehr fähig waren. Bei der vielfach 
ungenügenden und durch fehlende Organisation mangel- 
haften sanitärcn 
Behandlung war 
die Zahl dieser 
Unglücklichen 
früheren Zciten 
wohl auch cine 
verhältnismäßig 
sehr hohe. An- 
dererseits mögen 
auch die Verwen- 
dungsmöglich- 
keiten der Kriegs- 
beschädigten im 
bürgerlichen Le- 
ben beschränkter 
gewesen sein als 
jetzt. Der aus- 
schlaggebende 
Grund ist aber 
wohl darin zu 
suchen, daß man 
in früheren Zei- 
ten vom sozialen 
Standpunkt aus 
mit dem Men- 
schen als Teil der 
Arbeitskraft, von 
dessen Erhaltung 
unser Staatsge- 
füge abhängig ist, viel zu wenig rechnete, vielleicht auch 
nicht zu rechnen brauchte. 
Ganz anders jetzt! Als eine der schlimmsten Folgen des 
Völkerringens ist der Wegfall all der Tausende kostbarer 
Arbeitskräfte zu bezeichnen, die wir im kommenden Wirt- 
schaftskrieg so dringend benötigen. Debhalb müssen wir 
mit dem vorhandenen Menschenmaterial genau so haus- 
hälterisch verfahren, wie wir es nun seit Jahren mit dem 
gewohnt sind, was wir zu des Leibes Nahrung und Not- 
durft brauchen. Wir können keine Hand, die sich nur halb- 
wegs noch rühren kann, entbehren. Schon aus diesem 
Grunde ist eo geboten, die Kraft eines jeden Kriegöbeschä- 
digten, und sei sie auch scheinbar noch so gering und klein, 
so auczubilden, daß sie nicht bloß sich allein, sondern 
dem Staate voll nutzbar wird. 
„Den rechten Mann an die rechte Stelle“, lautet die 
allgemeine Zukunftoforderung. Das hat zur Voraussetzung 
und zur Folgerung, dass Arbeitsplätze, die von körperlich 
nicht vollwertigen ausgefüllt werden können, nicht durch 
Menschen mit gesunden Gliedern besetzt werden. Dies zu 
regeln, wird um so leichter sein, da uns ja der Krieg ge- 
zeigt hat, daß Frauen gar manchen Dienst versehen, den
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.