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Bei den Kriegsbeschädigten kommt nun noch meist hinzu,
daß sie sich in ein bestimmtes Teilgebiet einzuarbeiten
haben, das ihrem körperlichen Zustand entspricht.
Da der Bildungsstand der unter dem Begriff „Kauf-
leute“ stehenden Kriegsbeschädigten ein so überaus ver-
schiedener ist, müssen auch die entsprechenden Ausbildungs-
lehrgänge diesem Umstand Rechnung tragen. Es können wohl
im allgemeinen die Lehrpläne der öffentlichen Handels-
lehranstalten zugrunde gelegt werden, aber eine einheit-
liche, gleichmäßige Durharheiung ist nur denn möglich,
wenn die Teilnehmer auf annähernd gleicher Bildungs-
stufe stehen. Deshalb darf ein Lehrgang nicht zu viel,
höchstens etwa 12— 15 Schüler aufweisen, damit der Leh-
rer Gelegenheit hat, die Leistungen eines jeden genau zu
erkennen.
Der Unterricht erstreckt sich in der Hauptsache auf kauf-
männisches Rechnen, einfache und doppelte Buchhaltung,
Handelskunde mit Einführung in das Handelgesetzbuch,
kaufmännischen Schriftverkehr mit Berücksichtigung der
deutschen Sprachgesetze, kaufmännischen Zahlungsverkehr,
einschließlich Bank-, Wechsel= und Scheckverkehr, fremde
Sprachen, wobei außer Englisch und Französisch auch die
Sprachen des Ostens Berücksichtigung finden. In der
Handelsgeographie werden die Beziehungen Deutschlands
mit dem Auslande, die Wichtigkeit der Aus= und Einfuhr
der Waren untersucht. Von der Kurzschrift (Stenographie)
werden die wichtigsten Arten (in Sachsen wohl meist
Gabelsberger) in Abteilungen für Anfänger und Fort-
geschrittene gelehrt. In vielen Fällen z. B. in schwierigen
Fragen der Buchhaltung, der Banktechnik und des Börsen-
verkehrs, sowie im fremdsprachlichen Handelsbriefwechsel
ist oft besonderer sog. Privatunterricht notwendig, damit
der einzelne die notwendige höhere Ausbildung erlangen kann.
Neben dieser mehr theoretischen Schulung laufen auch
lbungen in der Kontorpraxis und dem Maschinenschreiben.
Jedes geschäftliche Unternehmen erfordert neben den eigent-
lichen kaufmännischen Arbeiten im engsten Zusammenhange
damit eine größere Menge Verrichtungen, die der ge-
schulte Kaufmann wissen und können muß, wenn er sie
auch in größeren Betrieben nicht selbst ausübt. Ohne
Schreibmaschine ist heutzutage kein Kontor denkbar. Zu
ihr gesellten sich die Rechen= und ähnlichen Hilfsmaschinen,
das Karteiwesen, das zur Ubersichtlichkeit und schnellen
Geschäftserledigung notwendig ist, und vieles andere mehr.
Für diese Arbeiten hat sich mit der Zeit ein eigenes
Hilfspersonal gebildet, daß zwar nicht zu dem regelrecht
gebildeten und geschulten Kaufleuten zu zählen ist, aber
immerhin doch auf einer anderen Stufe steht und stehen
muß, als der Kontordiener alten Schlages. Derartige
Stellen mit gelernten Kaufleuten zu besetzen, würde eine
Vergeudung von Kraft und Geld bedeuten, während ein
Aufwärter nicht die nötigen Kenntnisse besitzt.
Hier ist eine Stelle, an der die Anlernung geeigneter
Kriegsbeschädigter am Platze ist. Namentlich solcher, die
eine ruhige Beschäftigung ausüben müssen und über die
notwendige Intelligenz verfügen. Nicht jeder, der Lust
zu dem neuen Berufe hat, ist dazu geeignet, auch wenn sein
körperlicher Zustand die Voraussetzungen erfüllt. Ferner
genügt auch nicht die oberflächliche, rein mechanische An-
lernung und Erwerbung einiger technischer Fertigkeiten.
Der Kontorhelfer soll ein denkendes und im Geiste der kauf-
männischen Ordnung arbeitendes Glied der Handelsgemein=
schaft sein. Deshalb muß die Ausbildung hierzu, trotz ziem-
licher Einfachheit systematisch und gründlich geschehen. Die
Tätigkeit ist zwar keinecwegs rein mechanisch, dringt aber
nicht tief in das innere Wesen der Handelswissenschaft
ein. Das sei ausdrücklich gesagt, damit nicht der Gedanke
aufkommt, hier sei der Platz, an dem man leicht und
schnell „Kaufmann“ werden kann.
Alos kurz nach Beginn des Krieges die ersten Lazarett-
schulen gegründet wurden und allerorten Lehrgänge zur
Ausbildung entstanden, wurde vielfach das Maschinenschrei-
ben als geeignete Tätigkeit für Kriegsbeschädigte angesehen
und empfohlen. Unstreitig kann die mechanische Arbeit an
der Schreibmaschine Linkshändern oder überhaupt Ein-
armigen zur Gewöhnung und Einübung ihrer Glieder sehr
heilsam sein, ebenso wie die Auslösung der Tasten bei
Versteifungen und Lähmungen unter Umständen den Heil-
vorgang befördert. Keinesfalls darf aber das Maschinen-
schreiben als geeignete Arbeitstätigkeit Berufsfremder an-
gesehen werden, die da meinen, hierdurch im kaufmännischen
Betriebe ein lohnendes Unterkommen zu finden. Einmal
werden Kriegsbeschädigte nur selten die nötige Fertigkeit
erlangen, wie sie z. B. die meisten Maschinenschreiberinnen
besitzen. Dann aber ist es mit der Erlernung der Ma-
schinenschrift allein nicht abgetan; sie ist fast unzertrenn-
lich mit der Kurzschrift verbunden. Das Beherrschen eines
stenographischen Systems ist aber an den Besitz allgemeiner
Kenntnisse gebunden. Aus alledem geht hervor, daß die
rein mechanische Tätigkeit, wenn auch nicht nebensächlich
ist, aber doch nur eine Unterstützung der Hauptarbeit be-
deutet, die ohne allgemeine Bildung nicht selbständig aus-
geführt werden kann.
Die Warnung, davor, auf die Fertigkeit im Maschinen-
schreiben eine Existenz gründen zu wollen, soll aber
keineswegs besagen, daß das Vertrausein mit diesem
unentbehrlichen Bureauhilfsmittel im kaufmännischen Be-
triebe nur dem fachwissenschaftlich gebildeten Personal zum
Nutzen gereiche. Der Kontorhelfer, um dieses Wort beizu-
behalten, muß alle vorhandenen Maschinen bedienen kön-
nen, schon um sie zu reinigen und etwaige kleine Repara-
turen auszuführen. Er muß ferner imstande sein, Postaus-
und -eingänge zu erledigen, Schriftstücke einzuordnen. So-
bald es sich um einen industriellen Betrieb handelt, sind
Fachkenntnisse notwendig, deren Vorhandensein in manchen
Fällen einen intelligenten kriegsbeschädigten Industriearbeiter
für den Posten eines Kontorhelfers geeignet erscheinen läßt,
sofern er die betreffenden Ausbildungslehrgänge mit Er-
folg durchlaufen hat. Je näher der Kontor= und Betriebs-
helfer seinem früheren Berufe kommen kann, desto bessere
Aussichten hat er für seine eigene Betätigung zu erwarten.
Die vielfachen Verwendungsmöglichkeiten im Kontor,
Bureau, der Material= und Lagerverwaltung, bei der Prü-
fung und Abnahme von Arbeitsstücken, diese Wechsel-
beziehungen zwischen Handel und Industrie, das stete In-
einandergreifen der verschiedenen Betriebe gestalten die
Versorgungesmöglichkeiten von Kriegsbeschädigten äußerst
aussichtsreich.
Also nicht als „Kaufmann“ unterster Stufe, sondern
als Helfer im Kontor, Bureau und Lager wird mancher
Kriegsbeschädigte eine Stelle bekleiden können.
Für solche, die ein Glied verloren haben, Einarmer und
Einbeiner, sind auch hier manche brauchbare Hilfomittel
erdacht und zusammengestellt worden. Als sehr brauchbar
haben sich die vielfach erprobten Arbeitsgeräte zur
Ausführung aller Schreib= und Bureauarbei-
ten für Einarmige, Arm= und Handverletzte erwiesen, die die
Firma Albert Osterwald in Leipzig herausgibt. Da ist zu-
nächst eine Schreibtischgarnitur, bestehend aus einem Appa-
rat mit einem dem Mechanismus verdeckenden Schreib-
zeug, einem Selbstordner und einigen besonders geformten
Linealen. Eine durch Fußhebelbewegung auszulösende
Klemmvorrichtung ermöglicht das Festhalten von umfang-
reichen Büchern sowohl, als auch dünner Briefe, flacher
und runder Gegenstände. Mit einer Hand können Briefe
gefalzt, geschlossen, versiegelt und geöffnet werden, man
kann die Feder auswechseln und den Bleistift spitzen. Die
geschickt angeordneten Lineale unterstützen den Zeichner und