Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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Bei den Kriegsbeschädigten kommt nun noch meist hinzu, 
daß sie sich in ein bestimmtes Teilgebiet einzuarbeiten 
haben, das ihrem körperlichen Zustand entspricht. 
Da der Bildungsstand der unter dem Begriff „Kauf- 
leute“ stehenden Kriegsbeschädigten ein so überaus ver- 
schiedener ist, müssen auch die entsprechenden Ausbildungs- 
lehrgänge diesem Umstand Rechnung tragen. Es können wohl 
im allgemeinen die Lehrpläne der öffentlichen Handels- 
lehranstalten zugrunde gelegt werden, aber eine einheit- 
liche, gleichmäßige Durharheiung ist nur denn möglich, 
wenn die Teilnehmer auf annähernd gleicher Bildungs- 
stufe stehen. Deshalb darf ein Lehrgang nicht zu viel, 
höchstens etwa 12— 15 Schüler aufweisen, damit der Leh- 
rer Gelegenheit hat, die Leistungen eines jeden genau zu 
erkennen. 
Der Unterricht erstreckt sich in der Hauptsache auf kauf- 
männisches Rechnen, einfache und doppelte Buchhaltung, 
Handelskunde mit Einführung in das Handelgesetzbuch, 
kaufmännischen Schriftverkehr mit Berücksichtigung der 
deutschen Sprachgesetze, kaufmännischen Zahlungsverkehr, 
einschließlich Bank-, Wechsel= und Scheckverkehr, fremde 
Sprachen, wobei außer Englisch und Französisch auch die 
Sprachen des Ostens Berücksichtigung finden. In der 
Handelsgeographie werden die Beziehungen Deutschlands 
mit dem Auslande, die Wichtigkeit der Aus= und Einfuhr 
der Waren untersucht. Von der Kurzschrift (Stenographie) 
werden die wichtigsten Arten (in Sachsen wohl meist 
Gabelsberger) in Abteilungen für Anfänger und Fort- 
geschrittene gelehrt. In vielen Fällen z. B. in schwierigen 
Fragen der Buchhaltung, der Banktechnik und des Börsen- 
verkehrs, sowie im fremdsprachlichen Handelsbriefwechsel 
ist oft besonderer sog. Privatunterricht notwendig, damit 
der einzelne die notwendige höhere Ausbildung erlangen kann. 
Neben dieser mehr theoretischen Schulung laufen auch 
lbungen in der Kontorpraxis und dem Maschinenschreiben. 
Jedes geschäftliche Unternehmen erfordert neben den eigent- 
lichen kaufmännischen Arbeiten im engsten Zusammenhange 
damit eine größere Menge Verrichtungen, die der ge- 
schulte Kaufmann wissen und können muß, wenn er sie 
auch in größeren Betrieben nicht selbst ausübt. Ohne 
Schreibmaschine ist heutzutage kein Kontor denkbar. Zu 
ihr gesellten sich die Rechen= und ähnlichen Hilfsmaschinen, 
das Karteiwesen, das zur Ubersichtlichkeit und schnellen 
Geschäftserledigung notwendig ist, und vieles andere mehr. 
Für diese Arbeiten hat sich mit der Zeit ein eigenes 
Hilfspersonal gebildet, daß zwar nicht zu dem regelrecht 
gebildeten und geschulten Kaufleuten zu zählen ist, aber 
immerhin doch auf einer anderen Stufe steht und stehen 
muß, als der Kontordiener alten Schlages. Derartige 
Stellen mit gelernten Kaufleuten zu besetzen, würde eine 
Vergeudung von Kraft und Geld bedeuten, während ein 
Aufwärter nicht die nötigen Kenntnisse besitzt. 
Hier ist eine Stelle, an der die Anlernung geeigneter 
Kriegsbeschädigter am Platze ist. Namentlich solcher, die 
eine ruhige Beschäftigung ausüben müssen und über die 
notwendige Intelligenz verfügen. Nicht jeder, der Lust 
zu dem neuen Berufe hat, ist dazu geeignet, auch wenn sein 
körperlicher Zustand die Voraussetzungen erfüllt. Ferner 
genügt auch nicht die oberflächliche, rein mechanische An- 
lernung und Erwerbung einiger technischer Fertigkeiten. 
Der Kontorhelfer soll ein denkendes und im Geiste der kauf- 
männischen Ordnung arbeitendes Glied der Handelsgemein= 
schaft sein. Deshalb muß die Ausbildung hierzu, trotz ziem- 
licher Einfachheit systematisch und gründlich geschehen. Die 
Tätigkeit ist zwar keinecwegs rein mechanisch, dringt aber 
nicht tief in das innere Wesen der Handelswissenschaft 
ein. Das sei ausdrücklich gesagt, damit nicht der Gedanke 
aufkommt, hier sei der Platz, an dem man leicht und 
schnell „Kaufmann“ werden kann. 
Alos kurz nach Beginn des Krieges die ersten Lazarett- 
schulen gegründet wurden und allerorten Lehrgänge zur 
Ausbildung entstanden, wurde vielfach das Maschinenschrei- 
ben als geeignete Tätigkeit für Kriegsbeschädigte angesehen 
und empfohlen. Unstreitig kann die mechanische Arbeit an 
der Schreibmaschine Linkshändern oder überhaupt Ein- 
armigen zur Gewöhnung und Einübung ihrer Glieder sehr 
heilsam sein, ebenso wie die Auslösung der Tasten bei 
Versteifungen und Lähmungen unter Umständen den Heil- 
vorgang befördert. Keinesfalls darf aber das Maschinen- 
schreiben als geeignete Arbeitstätigkeit Berufsfremder an- 
gesehen werden, die da meinen, hierdurch im kaufmännischen 
Betriebe ein lohnendes Unterkommen zu finden. Einmal 
werden Kriegsbeschädigte nur selten die nötige Fertigkeit 
erlangen, wie sie z. B. die meisten Maschinenschreiberinnen 
besitzen. Dann aber ist es mit der Erlernung der Ma- 
schinenschrift allein nicht abgetan; sie ist fast unzertrenn- 
lich mit der Kurzschrift verbunden. Das Beherrschen eines 
stenographischen Systems ist aber an den Besitz allgemeiner 
Kenntnisse gebunden. Aus alledem geht hervor, daß die 
rein mechanische Tätigkeit, wenn auch nicht nebensächlich 
ist, aber doch nur eine Unterstützung der Hauptarbeit be- 
deutet, die ohne allgemeine Bildung nicht selbständig aus- 
geführt werden kann. 
Die Warnung, davor, auf die Fertigkeit im Maschinen- 
schreiben eine Existenz gründen zu wollen, soll aber 
keineswegs besagen, daß das Vertrausein mit diesem 
unentbehrlichen Bureauhilfsmittel im kaufmännischen Be- 
triebe nur dem fachwissenschaftlich gebildeten Personal zum 
Nutzen gereiche. Der Kontorhelfer, um dieses Wort beizu- 
behalten, muß alle vorhandenen Maschinen bedienen kön- 
nen, schon um sie zu reinigen und etwaige kleine Repara- 
turen auszuführen. Er muß ferner imstande sein, Postaus- 
und -eingänge zu erledigen, Schriftstücke einzuordnen. So- 
bald es sich um einen industriellen Betrieb handelt, sind 
Fachkenntnisse notwendig, deren Vorhandensein in manchen 
Fällen einen intelligenten kriegsbeschädigten Industriearbeiter 
für den Posten eines Kontorhelfers geeignet erscheinen läßt, 
sofern er die betreffenden Ausbildungslehrgänge mit Er- 
folg durchlaufen hat. Je näher der Kontor= und Betriebs- 
helfer seinem früheren Berufe kommen kann, desto bessere 
Aussichten hat er für seine eigene Betätigung zu erwarten. 
Die vielfachen Verwendungsmöglichkeiten im Kontor, 
Bureau, der Material= und Lagerverwaltung, bei der Prü- 
fung und Abnahme von Arbeitsstücken, diese Wechsel- 
beziehungen zwischen Handel und Industrie, das stete In- 
einandergreifen der verschiedenen Betriebe gestalten die 
Versorgungesmöglichkeiten von Kriegsbeschädigten äußerst 
aussichtsreich. 
Also nicht als „Kaufmann“ unterster Stufe, sondern 
als Helfer im Kontor, Bureau und Lager wird mancher 
Kriegsbeschädigte eine Stelle bekleiden können. 
Für solche, die ein Glied verloren haben, Einarmer und 
Einbeiner, sind auch hier manche brauchbare Hilfomittel 
erdacht und zusammengestellt worden. Als sehr brauchbar 
haben sich die vielfach erprobten Arbeitsgeräte zur 
Ausführung aller Schreib= und Bureauarbei- 
ten für Einarmige, Arm= und Handverletzte erwiesen, die die 
Firma Albert Osterwald in Leipzig herausgibt. Da ist zu- 
nächst eine Schreibtischgarnitur, bestehend aus einem Appa- 
rat mit einem dem Mechanismus verdeckenden Schreib- 
zeug, einem Selbstordner und einigen besonders geformten 
Linealen. Eine durch Fußhebelbewegung auszulösende 
Klemmvorrichtung ermöglicht das Festhalten von umfang- 
reichen Büchern sowohl, als auch dünner Briefe, flacher 
und runder Gegenstände. Mit einer Hand können Briefe 
gefalzt, geschlossen, versiegelt und geöffnet werden, man 
kann die Feder auswechseln und den Bleistift spitzen. Die 
geschickt angeordneten Lineale unterstützen den Zeichner und
	        
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