Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

Schreiber bei der Arbeit. Ebenso sinnreich sind die Selbst- 
ordner und die Umschaltvorrichtungen an Schreibmaschinen, 
die dem Einhänder ein schnelles Arbeiten ermöglichen. 
Alle diese Behelfsmittel besitzen außer ihrer unbedingten 
Brauchbarkeit die Vorzüge, daß sie sehr einfach sind und 
bequem überall aufgestellt, benutzt und ausgewechselt wer- 
den können. 
Die vorstehende Besprechung der verschiedensten Berufs- 
zweige erhebt keineswegs den Anspruch, erschöpfend zu 
sein. Um nicht ermüdend zu wirken, konnte auf alle Ver- 
wendungsmöglichkeiten der Kriegsbeschädigten nicht einge- 
gangen werden. Im großen und ganzen wird sich überall 
das Wort bewahrheiten: „Wo ein Wille ist, da ist auch 
ein Weg!“ Dies gilt besonders für diejenigen, die auf der 
Walstatt den Verlust eines Gliedes zu beklagen haben. 
Denn sie glauben vielfach zuerst, nichts Brauchbares 
mehr leisten zu können. Und doch sind sie meist noch nicht 
die Beklagenswertesten unter den Kriegsbeschädigten. „Jede 
innere Krankheit ist ein größeres Ubel als Einarmigkeit“ 
(E. von Künßberg). Sicher gibt es eine große Anzahl von 
Kriegsbeschädigten, die beim besten Willen zu keiner an- 
haltenden Arbeit zu gebrauchen sind. Hier wird in jedem 
einzelnen Falle besonders vorzugehen sein, um den Lebens- 
lauf des Unglücklichen nach Möglichkeit friedlich und sorgen- 
frei zu gestalten. Im übrigen aber können wir zuversicht- 
lich behaupten, daß nicht nur die Kriegobeschädigten, die 
den Verlust von Gliedern zu beklagen haben, wieder in 
die Armee der Friedensarbeiter eingereiht werden können, 
sondern auch die meisten derer, die an anderen schweren 
Störungen des Körpers leiden. 
Gehörschädigungen sind im Kriege sehr häufig. 
Durch die gewaltigen Erschütterungen, Gewehrschüsse, Gra- 
natsplitter, durch Verschüttungen, auch im Gefolge anderer 
Krankheiten treten schwere Störungen der Hörorgane auf. 
Wenn auch die ärztliche Kunst gerade auf diesem Gebiete 
ganz überraschende Heilerfolge zu verzeichnen hat, so be- 
zieht sich dies meist nur auf Einflüsse nervöser Art. Ver- 
letzungen des inneren Ohres bedingen aber meist dauernde 
Taubheit. Da derartig Betroffene zunächst an der Unter- 
haltung ihrer Umgebung nicht teilnehmen können, tritt 
leicht Verzagtheit und das Gefühl der Hilflosigkeit ein. In 
den zur Hebung oder Milderung dieser Gebrechen geschaffe- 
nen Lehrgängen wird darum vor allem darauf Gewicht ge- 
legt, daß die Ertaubten lernen die Sprache vom Munde 
abzulesen. Je weiter sie in dieser Fertigkeit fortschreiten, 
desto zufriedener und glücklicher werden sie. Der Berufe, 
die für einen Ertaubten verschlossen sind, gibt es nur wenige. 
Meist sind es solche Betriebe, in denen das fehlende Gehör 
die Arbeit an und für sich zwar nicht beeinflußt. Die Beob- 
achtung der Maschinen zwecks Abstellung von Mängeln und 
Fehlern, die unter Umständen für die Umgebung gefahr- 
bringend sein können, erfordert aber ein geübtes Ohr, das 
durch nichts ersetzt werden kann. 
Das lebhafteste Mitgefühl erwecken die im Felde des 
Augenlichtes Beraubten, die Kriegsblinden. Bedauern 
wir schon jeden, der nicht sehend zur Welt gekommen 
ist, so beklagen wir die noch viel tiefer, die ein herbes Ge- 
schick mit steter Nacht umgab. Da es sich meist um gewalt- 
same Zertrümmerung der betreffenden Nerven oder der 
äußeren Sehorgane handelt, wird ärztliche Kunst zuschanden. 
Es wird demnach fast immer die Aufgabe zu erfüllen sein, 
den gesunkenen Lebensmut der erblindeten Kriegsbeschädigten 
zu heben und sie einem lohnenden Erwerb zuzuführen. 
Für das erstere kann vor allem der Spruch als Richt- 
schnur gelten, der am Eingang einer Blinden-Arbeitsstätte 
zu lesen war: „Die Blinden wollen nicht bemitleidet sein!“ 
Gilt dieser Satz, wie eingangs bemerkt, schon für Kriegs- 
beschädigte im allgemeinen, so ist seine Befolgung hier im 
besonderen Maße anzustreben. Wenn wir den Blinden 
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helfen wollen, so müssen wir vor allem billige Redensarten 
vermeiden. Es muß versucht werden, die Bedauernswerten 
mit ihrer Lage auszusöhnen, indem man ihnen zu der Über- 
zeugung verhilft, „daß für die Möglichkeit einer künf- 
tigen beruflichen Selbständigkeit besteht, daß sie durch das 
Glück der Arbeit ihre wirtschaftlichen Verhältnisse wesent- 
lich z verbessern vermögen und daß beim pflichttreuen 
Streben und Schaffen Jufriedenheit und wahre Lebens- 
freude ihnen treue Führer auf ihrem Lebenspfade sein 
werden.“ 
Die Fürsorge für die Erblindeten wird darum schon wäh- 
rend der Heilbehandlung in den Lazaretten eingeleitet. Da 
gerade bei diesen Kriegsbeschädigten der seelische Zustand 
vor allem gehoben und gefestigt werden muß, tritt das 
werktätige Schaffen zunächst zurück. Ganz allmählich fin- 
det eine Überleitung in den künftigen Beruf statt. Die- 
selbe findet zweckmäßigerweise unmittelbar in einer Blinden= 
anstalt statt. Die Zahl der sog. Blindenberufe hat sich ja 
in neuerer Zeit erheblich vergrößert. Ju der Korbmacherei, 
Seilerei, Stuhlflechterei und dem Klavierstimmen sind 
noch zahlreiche lohnende Beschäftigungen getreten, deren 
Ausübung Blinden keinerlei besondere Schwierigkeiten bie- 
tet. Das gilt namentlich von den Arbeiten in der Industrie. 
Abgesehen davon, daß in jedem größeren Betrieb Gelegen- 
heit vorhanden ist, einen oder mehrere Blinde nicht bloß 
„unterzubringen“, sondern nutzbringend zu verwenden, eig- 
nen sie sich für außerordentlich viele Handwerke, nament- 
lich dort, wo es sich um industriellen Großbetrieb handelt. 
Zahlenmäßig entstammt mehr als die Hälfte der Kriegs- 
blinden der Industrie und dem Handwerk. Die 
Ankmipfungspunkte sind demnach fast immer vor- 
handen. Mit ihrem feinen Tastgefühl und der durch 
den Wegfall vieler Ablenkungen erhöhten Gründlichkeit 
im Arbeiten verdienen die Blinden sogar in vielen Fällen 
den Vorzug vor normalen Arbeitern. Daß die Leistungen 
durchaus zufriedenstellend sein müssen, beweist z. B. der 
Umstand, daß Munitionsfabriken Blinde nicht nur zum 
Zusammenstellen von Geschoßteilen, Einbringen und Ver- 
packen von Patronen u. a. m. verwendeten, sondern ihnen auch 
Revisionsarbeiten, das Prüfen von Schrauben und Zünder- 
teilen auf richtiges Maß mittels der sog. Lehren oder 
Toleranzkaliber übertrugen. Auch bei der Herstelung elek- 
trischer Installationsmaterialien lassen sich viele Arbeits- 
vorgänge ohne weiteres von Blinden erledigen. Da der 
Blinde viel besser auf Geräusche und den Unterschied der 
Töne achtet, hat man ihn schon seit langem im Klavier- 
bau, namentlich als Stimmer, verwendet. Diese auf das 
feine Gehör sich stützende Tätigkeit läßt noch viele Mög- 
lichkeiten zu, z. B. bei der Herstellung neuzeitlicher Musik- 
instrumente. Ferner gibt es Arbeiten, bei denen das sehende 
Auge oft Gefahr läuft, geschädigt zu werden, z. B. bei be- 
stimmten Vorgängen in der Glühlicht-, Metallfaden-, chemi- 
schen und Glasindustrie. Hier sind sicher noch zahlreiche 
Arten der Betätigung für erblindete Krieger vorhanden. 
Der blinde Maschinenschreiber ist in Verbindung mit dem 
Sprechapparat (Parlographen) ebenso leistungsfähig wie 
ein Sehender, und die Bedienung einer kleinen Fernsprech- 
zentrale kann ohne umfängliche Abänderungen einem Blin- 
den übertragen werden. 
Ist demnach im Handwerk, in der Indusirie und im 
Handel die Aussicht einer ersprießlichen Tätigkeit für 
Blinde in den verschiedensten Betrieben vorhanden, so ist 
die Verwendungemöglichkeit auch auf anderen Gebieten 
nicht ausgeschlossen. Die Brauchbarkeit der Blinden zu 
landwirtschaftlichen Arbeiten hat sich bei vielen praktischen 
Versuchen erwiesen. Aber auch geistig Arbeitende können 
eine ihrem Bildungsstande entsprechende Beschäftigung fin- 
den, soforn ihre Umgebung ihnen Unterstützung und Hand- 
reichung zuteil werden läßt.
	        
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